Heft 
(2018) 106
Seite
145
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Katharina Grätz: Alles kommt auf die Beleuchtung an  Hehle 145 Anspielungen, die ein Netz von innerliterarischen und intertextuellen Sinn­zusammenhängen flechten. Als zentrale Merkmale von Fontanes Figuren­konzeption betrachtet Katharina Grätz die Spannung zwischen Typisierung und Individualisierung, die Infragestellung von Geschlechterstereotypen und die»Doppelstrategie«(S. 60), ein und dieselbe Figur, etwa Effi Briest oder Christine Holk, leitmotivisch mit dem Bereich des Elementaren zu ver­knüpfen, um Einblick in ihre Psyche zu gewähren, und zugleich die gesell­schaftliche Formung ihres Bewusstseins zu zeigen. Dem korrespondiert in der Raumgestaltung die Spannung zwischen den dominierenden Innenräumen als zugleich bergenden und einengen­den Orten des sozialen Kontakts und den Naturräumen mit ihren ver­schwimmenden Grenzen, wie Eis oder Sumpf, die symbolischer Ausdruck des individuell wie kollektiv Verdrängten sind. Auch in der Zeitgestaltung unterscheiden sich Fontanes Romane von Erzählwerken anderer deutsch­sprachiger Realisten insofern, als eine chronologische Erzählweise vor­herrscht, die die Illusion eines»natürlichen« Zeitablaufs erzeugt, und die etwa bei Theodor Storm oder Conrad Ferdinand Meyer so häufig anzutref­fenden Rahmenerzählungen fehlen, wie Katharina Grätz darlegt. Hervor­gehoben werden im Bereich der Erzähltechnik die Dominanz des szeni­schen und selektiven Erzählens, das den Erzählvorgang selbst weitgehend ausblendet, und das Vorherrschen der neutralen und personalen Erzählper­spektive, das im Zusammenwirken mit der ausgeprägten Dialogizität die Perspektive des Erzählers relativiert und für ein adäquates Verständnis der Texte einen aktiven Leser voraussetzt. Fontanes Erzählwerk wird gegliedert in»Historische Romane«(Vor dem Sturm, Schach von Wuthenow),»Kriminalerzählungen, Mordgeschich­ten«(Grete Minde, Ellernklipp, Unterm Birnbaum, Quitt),»Eheromane« (LAdultera, Graf Petöfy, Cécile, Unwiederbringlich, Effi Briest),»Standesro­mane«(Irrungen, Wirrungen, Stine, Mathilde Möhring) und»Zeitromane« (Frau Jenny Treibel, Die Poggenpuhls, Der Stechlin) eine Etikettierung, die freilich diskutabel, aber gut begründet und jedenfalls praktikabel ist. Die Besprechungen der Romane verschränken die Wiedergabe der Handlung und der dominierenden Themen durchweg klug und gut nachvollziehbar mit der Diskussion der formalen Merkmale, der Entstehungsbedingungen und des historisch-kulturellen Kontexts und vermitteln eine Quintessenz des aktuellen Forschungsstandes, ohne einzelne Positionen ausführlich zu diskutieren.(Auch Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Personenre­gister sind auf das Nötigste beschränkt.) An Vor dem Sturm wird überzeugend demonstriert, dass Fontane mit seinem Debüt ein innovatives Konzept des historischen Romans realisierte den einem gutzkowschen Postulat entsprechenden, doch von den Zeitge­nossen viel gescholtenen»Roman des Nebeneinander« oder»Vielheitsro­man«, in dem sich mit der Annäherung an Mentalitätsgeschichte und