Heft 
(2018) 106
Seite
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150 Fontane Blätter 106 Rezensionen und Annotationen historischer Sicht«) auch sehr gut ohne die Frage ausgekommen, was denn Schnitzler wohl über Euthanasie oder Patientenaufklärung dachte, zumal, wie er selbst schreibt, wir das nicht wissen und sich das aus den literari­schen Texten auch nicht erschließen lässt. In Jens Flemmings Studie»Sterben und gesellschaftliche Reform. Theo­dor Fontane und ›Der Stechlin‹« geht es um Fontanes letzten Roman als dessen politisches Vermächtnis, der gleichzeitig eine»Erzählung von Ster­ben und Tod, von Vergehen und Werden«(Bd. 1, S. 206) sei. Dass dazu ­Fontanes eigenes Leben und Sterben in Beziehung gesetzt wird, in Rekurs auf Heide Streiter-Buschers Beschreibung von fiktionaler Autobiographik, bringt dem sonst sehr erhellenden Beitrag keinen bedeutenden Mehrge­winn. Anders verhält es sich bei Roland Berbigs Arbeit(»›Auf der höflichen Wanderung den von Gräbern durchsetzten Hügeln entgegen‹. Tod und Tote in Ilse Aichingers Werk«), die überzeugend darlegt, in welcher Weise Ilse Aichingers Schreiben bestimmt ist durch die Auseinandersetzung mit dem Tod: mit dem konkreten Tod der Nächsten, deren ›Nicht-Existenz literarisch existentiell befestigt‹ wird:»von den Toten auf den Tod hin, der ein Begriff für Leben wird.«(Bd. 2, S. 132) Weniger mit Sterben und Tod als mit Krankheit beschäftigen sich die Überblick bietenden Beiträge von Nina Diezeman(»Zwischen Krankheit und Selbstbehauptung. Hungern in der europäischen Literatur um 1900«), Berenike Schröder(»Den Tod überschreiben. Demenz in der deutschspra­chigen Literatur der Gegenwart«) und Birgit Dahlke(»Die eigene Sprache wiedergewinnen. Kathrin Schmidts Roman Du stirbst nicht«). Dahlke fragt hier nach den»psychischen und sozialen Strategien, unter Bedingungen der Entmächtigung Kontrolle über das eigene Leben zu behalten bzw. wie­derzugewinnen«(Bd. 2, S. 224) und zeigt sehr überzeugend, inwiefern die durch die Wahl der Textsorte Roman eingenommene Perspektive dem Le­ser mehr Einblick in das Innere ermöglicht, als es etwa in den autopatho­graphischen Texten von Wolfgang Herrndorf, David Wagner und Christoph­Schlingensief, die in der ersten Person geschrieben sind, der Fall ist. Deren Texte bilden eine Gruppe, bei denen die Heranziehung des Autors und seiner biographischen Erfahrungen gewinnbringend, ja erforderlich ist, was sich in den Beiträgen von Guido Bee(»Hoffnungslose Humoristen. Zum Umgang mit Krankheit und Tod in Texten und Zeichnungen von Wil­helm Busch und Robert Gernhardt«), H. Christof Müller-Busch(»Literatur im Angesicht des Todes Fritz Zorn und Wolfgang Herrndorf«) und Eliza Altenhof(»›zeige deine Wunde‹. Krankheit und Sterben im Spätwerk von Christoph Schlingensief«) zeigt. Denn bei Robert Gernhardt, Wolfgang Herrndorf, Fritz Zorn und Christoph Schlingensief handelt es sich um ster­benskranke Schriftsteller, die ihr(baldiges) Sterbenmüssen im Gedicht, im Roman, im Blog oder Tagebuch über einen längeren Zeitraum hinweg re­flektierten und zum Thema machten: Literatur im Angesicht des Todes, die