Theodor Fontane w wietle faktów i interpretacji Hudzik 163 einen Repräsentanten der Heimatliteratur als einen genauen Kritiker seiner Zeit vorstellen, deshalb habe er seine Texte gekürzt, vereinfacht und trivialisiert. Mehr noch, er habe auch deswegen die Romane Cécile, Unwiederbringlich, Effi Briest abgelehnt, da sie die Themen ansprechen, die im Familienblatt tabuisiert worden seien. Barbara Widawska(Akademia Pomorska in Słupsk) setzt in ihrem Artikel die historische Kontextualisierung fort, aber aus einem anderen Blickwinkel. Sie untersucht Fontanes Epik als Medium des kulturellen Gedächtnisses sowie als interpretatorische Inspirations- und Wissensquelle für die Geschichtsschreibung. Ihren Ausgangspunkt und allgemeinen Reflexionsrahmen bilden die theoretischen Arbeiten von Hayden White und Jerzy Topolski, die auf die Bedeutung der Literatur für die Geschichtswissenschaft hinweisen. Erwähnt wird die Formulierung von Dietmar Storch, dass Fontane das Kompendium des Wissens über das 19. Jahrhundert sei. Widawska setzt sich mit der Frage auseinander, warum sich so viele Historiker – wie Jürgen Osterhammel, Hans-Jürgen Bömelburg, Stanisław Salmonowicz, Gordon Alexander Craig oder Klaus Zernack – in ihren Arbeiten auf Fontane berufen und seine Werke als Zeugnisse, historische Dokumente und Diagnosen gesellschaftlicher Stimmungen betrachten. Nicht nur historischer Wert wird Fontanes Romanen zugemessen. Marta Kopij-Weiß(Uniwersytet Wrocławski) analysiert deren philosophische Aspekte und vergleicht Fontane mit Friedrich Nietzsche. Die deutsche Version ihres Artikels erschien im schon erwähnten Band Fontane und Polen, Fontane in Polen. Die Zusammenstellung beider Autoren ist in der Forschungsliteratur bekannt: Fontane, 25 Jahre älter als Nietzsche, war Zeuge der ersten Rezeptionswelle seiner Schriften um 1890, die auf selektiver Auswahl mancher aussagestarken Begriffe und Formulierungen wie der Übermensch, der Wille zur Macht, Gott ist tot oder jenseits von Gut und Böse basierte. Kopij-Weiß bemerkt, dass Fontane zwar ein distanzierter Beobachter dieser Neuigkeiten gewesen sei, aber doch viele Überschneidungspunkte mit dem Nietzscheanischen Denken habe. Beide lebten in derselben Zeit, reflektierten über dieselben historischen Ereignisse und registrierten die Entwicklung bzw. den Paradigmenwechsel, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzog. Trotz der Unterschiede in der Persönlichkeit, Poetik und Radikalität des Schreibens kritisierten sie gleichermaßen – so KopijWeiß – den Historizismus sowie deutsche Kultur und Gesellschaft ihrer Zeit, vor allem die»Bildungsphilister«, und sahen die Notwendigkeit der Umwertung der Werte. Nach den Aufsätzen, die sich auf das Gesamtwerk Fontanes bezogen, folgen im Sammelband vier interessante Fallstudien seiner einzelnen Werke. Aneta Mazur(Uniwersytet Opolski) bietet eine intermediale komparatistische Analyse des Romans Effi Briest an, in dem sie Korrespondenzen zum Gemälde Die Melancholie von Lucas Cranach dem Älteren sieht.
Heft
(2018) 106
Seite
163
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