14 Fontane Blätter 107 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes mittleren Bürgerstandes, des behäbigen Spießbürgers«, stellt Erich Widdecke 1925 fest. 14 Ganz anders hingegen die seit Zeiten Friedrichs II. eher regierungsnahe Spenersche. In einem ›Nachruf‹ auf»Onkel Spener«, wie die Zeitung etwas spöttisch von den Berlinern genannt wurde, erinnert sich Karl Gutzkow 1874, welch großes Ansehen das Blatt in der gehobenen Berliner Gesellschaft hatte: Es war eine entschieden»vornehme« Zeitung, das muß man ihr nachsagen.[…](W)er ein Geheimrath, Commerzienrath, Major oder Oberst war, würdigte keine andere Zeitung seines Blickes. Es konnte etwas in der Vossischen als verbürgt behauptet stehen, diese Kreise hörten nur mit halbem Ohr darauf und glaubten erst dann an die beregte Sache, wenn sie die Spener’sche auch gebracht hatte. Im alten Locale von Josty, wo der süße Morgen-Imbiß genommen wurde,[…] fielen zuweilen einzelne Körner aus dem stillen Leben der Staatsmaschine.»General v. Müffling geht an den Rhein als Gouverneur von Köln –«‚ Ha! Eine damalige Sensations-Nachricht! Sie ging von einem der Pasteten kauenden Munde zum andern. Aber gesetzt, die Zeitung gegenüber[die Allgemeine Preußische Staats-Zeitung] oder die andere in der Breitenstraße[die Vossische Zeitung] hätte diese hochinteressante Nachricht bringen wollen, der Censor würde dabei mit blauer Tinte geschrieben haben:»Woher wissen Sie das? Quelle angeben!« Es war die Zeit des»patriarchalischen Despotismus«. Und Gutzkow macht noch auf einen ganz speziellen Abonnentenkreis aufmerksam:»Der gesammte preußische Hof hielt sich die Spener’sche ›auf Schreibpapier‹«. 15 Wem also daran gelegen war, seine Mitteilung in Hofkreise und höhere Gesellschaftsklassen zu bringen, wählte sicherlich die Spenersche. Und damit kommt Fontanes Großvater Pierre Barthélemy Fontane ins Spiel. Denn wir können vermuten, dass Louis Henri Fontane mit Rücksicht auf seinen Vater in der Spenerschen inserierte. Schließlich hatte Pierre Barthélemy über viele Jahre dem königlich preußischen Hofstaat angehört: Seit 1786 als Zeichenlehrer der Kinder König Friedrich Wilhelms II., seit 1793 als Bediensteter der Kronprinzessin Luise, seit 1797 als Kabinettssekretär der Königin und zuletzt, bis etwa 1811/12, als Kastellan des Schlosses Schönhausen. 16 Er dürfte um 1820 noch zahlreiche Bekannte am Hofe Friedrich Wilhelms III. gehabt haben. Die Spenersche Zeitung hat das Ende des Jahrhunderts und damit auch Fontanes Todesjahr nicht erreicht. Einen 1872 erfolgten Besitzerwechsel, die Übernahme durch eine Aktiengesellschaft, den redaktionellen Neubeginn, die jetzt erfolgte Bindung als Parteiblatt der Nationalliberalen verkraftete das Berliner Traditionsblatt nicht. Es musste am 31. Oktober 1874 sein Erscheinen einstellen. Einem Gerücht zufolge soll der Vorabdruck von Paul Heyses Roman Kinder der Welt den Untergang der Zeitung begünstigt
Heft
(2019) 107
Seite
14
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