Otto Brahms Essay über Ibsen Möller 21 fünfzehnjährig mit dem Einjährigfreiwilligenzeugnis verließ. Nach Hamburg zurückgekehrt, trat Brahm am 1. Janaur 1872 in das Bankgeschäft von Eduard Frege& Co. ein, um dort eine Kaufmannslehre zu absolvieren, blieb aber nicht in diesem Beruf, sondern konfrontierte seinen Vater um Ostern 1875 mit dem Vorsatz, nicht mehr in das Geschäft zu gehen.»Auf die Frage: ›Was willst du werden?‹ antwortete Otto Brahm kurz und bestimmt: ›Schriftsteller‹. Die andere Frage, woher die Mittel nehmen, drängte der Vater einstweilen zurück. Die einzige Bedingung, die er stellte, war Prüfung der Fähigkeiten durch einen Fachmann. Darauf hatte sich Otto vorbereitet. Er übergab dem Alten das Manuskript einer kritischen Arbeit über Paul Lindau, der damals als ›Mann der Gegenwart‹ mit moderner Literatur beinahe identisch schien. Mit diesem Aufsatz schickte Otto seinen nachgiebigen Alten zu einem ihm bekannten Hamburger Arzte. Dieser Professor Lazarus sollte seinen Schwager, Julius Rodenberg in Berlin, um ein Urteil bitten[ 5 ].[…] Rodenberg erkannte Begabung zu kritischer Polemik und zur Charakteristik. Mit solchem Befähigungsnachweis gab sich Papa Abrahamson zufrieden.« 6 Im Oktober 1876 zog Brahm nach Berlin, um zu studieren, wechselte 1877 nach Heidelberg, kehrte jedoch bald nach Berlin zurück, um Hermann Grimm und Wilhelm Scherer zu hören. Auf den Rat von Scherer wurde Brahm 1878 Student bei Erich Schmidt in Düsseldorf. Ostern 1879 wurde er in Jena von Eduard Sievers mit seiner Arbeit über das deutsche Ritterdrama des 18. Jahrhunderts promoviert. Im Sommer 1879 kehrte Brahm nach Berlin zurück, um als Journalist zu arbeiten. Er schrieb zunächst unter dem Pseudonym Otto Anders, verkürzte später seinen Geburtsnamen zu Brahm. Das war ein pragmatischer Schritt zur Assimilation, wie ihn viele jüdische Intellektuelle in jener Zeit vollzogen. Über sein Verhältnis zum Judentum hat Brahm sich nicht geäußert. Es dürfte jedoch prägend für ihn gewesen sein, und auch in seinem Verständnis von Ibsen, dessen Entwicklung er aus Schmerzerfahrung und Auseinandersetzung mit seiner Nation erklärte, eine zentrale Rolle gespielt haben. 7 Zur Einweihung des Schaperschen Goethe-Denkmals publizierte Brahm 1880 eine Festschrift Goethe und Berlin. Als der Kritiker der Vossischen Zeitung für die Privattheater, Max Remy, im Mai 1881 starb, wurde Brahm sein Nachfolger und Kollege Fontanes, der bereits seit zehn Jahren über das Königliche Schauspiel referierte.»Zwischen beiden entwickelte sich«, wie Paul Schlenther berichtet,»sehr bald ein reger geistiger Verkehr; der große Alte hatte es sehr gern, wenn ihn sein ›kleiner Brahm‹ gegen Abend zur Teestunde besuchte und in die stille Stube allerlei Kuriosa aus dem Weltgewimmel mitbrachte. Auch die Debatte setzte von beiden Seiten immer lebhafter ein und vollzog sich in scharf zugespitzten Pointen. Auf Harmonie der Gesinnungen und Auffassungen kam es ihnen weniger an, als Klingen zu kreuzen. Wie es sich bei Fontanes Briefschreibegenie von selbst versteht,
Heft
(2019) 107
Seite
21
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