Heft 
(2019) 107
Seite
43
Einzelbild herunterladen

›Typisch Fontane‹? ›Typisch Mathilde‹? Loster-Schneider 43 Blätter, wie die Leipziger Eisenbahn oder die Dresdner Zeitung, bis zum Ende des krisenhaften 1840er Jahrzehnts. Spuren finden sich nicht zuletzt auch im weiten Anspielungs-Feld seiner historisch-publizistischen Werke, Briefe, autobiographischen Texte und Romane, wo insbesondere ›Dresden‹ und einige Dresden-Klischees wiederholt in konkreter und symbolischer Bedeutung erscheinen: als Unglücksort tödlicher Duelle( Cécile) oder als feste Station auf Hochzeitsreisen( Irrungen, Wirrungen; Effi Briest; ­Stechlin), die man absolvieren kann, in schlechter oder guter Erinnerung behält oder lieber von vornherein vermeidet. So geschehen in Fontanes spätem, posthum publiziertem satirischem Kabinettstückchen Mathilde Möhring, 10 wo die beiden Honey-Mooner, schon auf dem Sprung von Berlin an ihren künftigen Lebensmittelpunkt in Westpreußen, eine logistisch geradlinigere und hörbar preußen-pa­triotischere Wahl treffen. Die Argumente Hugo Großmanns, des frisch gebackenen Ehemanns und künftigen Woldensteiner Bürgermeisters mit einstigen Dompteurs-Phantasien, verraten dabei gleichermaßen dunkles Unbehagen gegenüber dem strengem Regiment seiner Gattin Mathilde wie fixe, stereotype ›Bilder im Kopf‹ über Preußen, Sachsen, Dresden und typische Flitterwochen-Ziele: »Ich finde es nicht in Ordnung«, so Hugo,»dass es immer Dresden und die Brühlsche Terrasse sein muß oder gar der Zwinger. In Küstrin wol­len wir uns am andern Morgen das Gefängnis des Kronprinzen Fried­rich ansehen und die Stelle, wo Katte hingerichtet wurde. Das scheint mir passender als der Zwinger.« 11 Und selbstverständlich ist es angesichts Fontanescher ›Finessen‹ kein Zu­fall, dass sich die früh verwitwete, begnadete Performerin Mathilde einige Monate später, bei ihrer Rückkehr in den mütterlichen Berliner Haushalt, der hämischen Nachbarschaft eben nicht im stereotypen Habit einer trau­ernden Witwe präsentiert; vielmehr paradiert sie in eleganter Reiseklei­dung, was die empörte Hausbesitzerin gewissermaßen ›automatisch‹ mit Dresden assoziiert:»[S]ie hat bloß schwarze Handschuh an und sieht sonst aus, als reiste sie nach Dresden und Sächsische Schweiz. Regenmantel und Opernglas; es fehlt bloß noch der Alpenstock.« 12 Wir werden von diesem Text, Mathilde Möhring, später noch ausführ­lich zu sprechen haben. Gleiches gilt für die erwähnte, etwa zeitgleich ent­standene Autobiographie Von Zwanzig bis Dreißig. Dort nämlich verdichtet Fontane in einer sogenannten Sachsenhymne seinen Erinnerungskomplex ›Sachsen‹ nicht nur in einer, für einen Dresdner Vortragsabend einladen­den Weise. Sie führt auch mitten hinein in unser eigentliches Thema: das autortypische Zirkulationsspiel mit Stereotypen im Allgemeinen, National­und Regionalstereotypen im Besonderen und mit den ›Chancen, Risiken und Nebenwirkungen‹ ihres Gebrauchs sei es durch den autobiographi­schen Selbstmythologen und preußischen Sachsenkenner Fontane, durch