44 Fontane Blätter 107 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte seine Romanfiguren oder durch lesende und forschende Bildproduzenten zu Autor und Werk. I.2 Jubiläen und das Autorstereotyp › fontane‘scher Ambivalenz ‹ Zunächst erinnert uns das Stichwort ›Stereotype‹ aber an die noch offene zweite Ausgangsfrage nach den selbst ›typischen‹ Funktionen und Leistungen literarhistorischer Jubiläen. Im Anschluss an Pierre Nora und mit Aleida Assmann definiert als»Denkmäler in der Zeit«, 13 gehören in der kulturwissenschaftlichen Memoria-Forschung Gedenkjahre und Jahrestage in den Kontext sogenannter»Erinnerungsorte[]«, zu denen neben konkreten Lokalitäten auch»Geschichtsereignisse, Autoren, Riten, Lieder[…], Konsumgüter« 14 und mehr zählen und die zu periodischer Kommemorierung und Reflexion einladen. In modernen Auslegungskulturen beeinflussen sie vor allem auch literarhistorische Kanondynamiken: Initiieren die mit Jubiläen verbundenen sozialen und medialen Erinnerungshandlungen doch eine Vielzahl bestätigender, kritischer oder innovativer Relektüren der zu tradierenden Werke, um, etwaiger Neu- und Umbewertungen unerachtet, deren generelle Bedeutung zu vermehren. 15 Mehr noch: Zwangsläufig zirkulieren sie dabei, in welcher Form und mit welcher Tendenz auch immer, bestehende Werk- und Autorstereotype. Wie nun ein Blick in die wissenschaftlichen Publikationen zum und seit dem letzten ›großen‹ Jubiläum von 1998 zeigt, ist Fontane für diese ›Arbeit am Kanon‹ 16 ein gutes Beispiel: Stehen doch die Fontane Blätter (1998 ff.), das Fontane-Handbuch(2000) oder die dreibändige Tagungsdokumentation des Fontane-Archivs(2000) Am Ende des Jahrhunderts 17 und andere ›terminscharfe‹ Publikationen nachgerade exemplarisch für einen solchen Prozess, bei dem vorhandenes, gar stereotypes Wissen zu Autor und Oeuvre aufgenommen, geprüft, aktualisiert und erfolgreich aus-, um- und weitergeschrieben wird. Veranschaulichen lässt sich dies an dem zentralen Autor- bzw. Deutungsstereotyp Fontane‘scher ›Widersprüche‹ und ›Ambivalenzen‹. Von der älteren Forschung entweder weggeschrieben, als ›Doppelzüngigkeit‹ kritisiert oder, umgekehrt, Fontanes ›Wesen‹ und seinem weltanschaulichen ›Relativismus‹, ästhetischen ›Perspektivismus‹ und der»Lust an der Paradoxie« 18 gutgeschrieben, trifft man diesen alten Bekannten auch in jüngeren Beiträgen wieder – teils biographisch adressiert, teils im literaturwissenschaftlichen Theoriekleid unzuverlässigen Erzählens:» Alles kommt auf die Beleuchtung an«, titelt Grawes Zitat-Anthologie(1994). 19 Storch (1994) sieht im Autor einen Mann des»Sowohl-als-auch«. 20 Fischer zitiert einen frühen Zeit-Zeugen für Fontanes spätere»Vorliebe für Paradoxien« –
Heft
(2019) 107
Seite
44
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