Heft 
(2019) 107
Seite
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›Typisch Fontane‹? ›Typisch Mathilde‹? Loster-Schneider 47 ­launige Briefschreiber nicht nur in Einklang mit seiner kapriziösen Roman­figur Melusine und ihrem Liking für alle ›Süddeutschen‹ befindet, 44 sondern und keineswegs selbstverständlich, auch mit sich selbst, damals, 1870 in Oléron und im Kreise seiner deutschen Mitgefangenen: den ›breiten‹, ›männlichen‹, ›stattlichen‹ Rheinfranken und den hörbar ›weiblich‹ positio­nierten ›heiteren‹, ›liebenswürdigen‹, ›entzückend-naiven‹ Baiern. 45 II.2 und im Besonderen: vom preußischen und sächsischen Nationalcharakter, ›typischen‹ Differenzbehauptungen und (un-)gestörten Wahrnehmungsroutinen Während nun hinsichtlich dieser ›anderen Deutschen‹ in der Forschung auch nach dem letzten Jubiläum noch ›viel Luft nach oben‹ ist, 46 war der ›nationale Ego-Raum‹ des»in der Wolle gefärbte[n] Preuße[n]« 47 Fontane immer schon ein ›weites‹ und dankbares ›Feld‹. Angesichts des mühsamen Prozesses gesamtdeutschen ›nation-buildings‹ zwischen starkem Regiona­lismus und ethnischer Homogenisierung, ist auch Fontanes lebenslängliche Reflexion auf das Verhältnis von Preußen, dem Preußischen und den Preu­ßen zur Gesamtnation und anderen deutschen ›Teil-Nationen‹ bekanntlich schwierig. Aus dem komplexen Thema heute nur so viel: Noch im berühm­ten, stramm republikanischen Aufsatz Preußens Zukunft in der Berliner Zeitungshalle unterscheidet er 1848 zwischen dem notwendigen Unterge­hen Preußens und dem möglichen Aufgehen anderer Staaten, namentlich Bayerns, Sachsens, Schwabens, in der künftigen gesamtnationalen Repu­blik, denn:»Innerhalb der Nationalitäten[] werden die Stammesverschie­denheiten wieder in ihr Recht treten, und diese Rückkehr zum Natürlichen bringt Preußen um seine Existenz.« Das»jetzige« Preußen mit seinen mul­tiregionalen und-nationalen Provinzen nämlich ist ihm eine historisch jun­ge, der absolutistischen Rationalität geschuldete künstliche Konstruktion. 48 Die Preußen seien politische, nicht aber nationale Deutsche ein offensicht­lich ›unnatürlicher‹ Zustand, den Fontane»auf seiner märkischen Sand­scholle« noch Jahre später, in einer Theater-Rezension von 1872 zu Goethes Egmont, als Mangel beklagt. 49 Nun war es 1871 bekanntlich ja aber anders gekommen als 1848 pro­phezeit, und im Langzeitprojekt der Wanderungen durch die Mark Bran­denburg sind Fontanes schlingernde Bemühungen um die Neujustierung im Dreiecks-Verhältnis von Preußen, den ›anderen‹ und einer vermeintlich ›natürlichen‹ deutschen Gesamtnation gut zu verfolgen. Eine Schlüsselrol­le spielen hierbei die sogenannten ›Nationalcharaktere‹, 50 eine seit Herder 51 und noch 1847 bei Arndt 52 prominente oft diskriminierende auf Diffe­renz, Distinktion und Segregation gestellte Denkfigur kollektiver Selbst­verständigung. Wie auch die epistemisch gleichen Parallelkonstruktionen