›Typisch Fontane‹? ›Typisch Mathilde‹? Loster-Schneider 53 vergleichsweise ›junge Paar‹ Sachsen und Preußen, und ebenso wenig zufällig steht es neben den ›Kernländern‹ des nationalen Mythos, mit ihren vermeintlichen ›Stammesüberlegenheiten‹ und dem ›alten Paar‹ der ›Guelfen und Ghibellinen‹. Komplementär und realistisch verstanden, sind die innerdeutschen ›Nationaldifferenzen‹ Chance zu Vielfalt, produktivem Wettstreit und somit Fortschritt. IIlusionistischen Fehlwahrnehmungen geschuldet und als unversöhnliche Antagonismen tradiert, bergen sie hingegen erhebliche Risiken – wenn nicht, wie schon bei Herder und Kant, 87 für den Weltfrieden, so doch zumindest für das gedeihliche Miteinander im ›gemischtnationalen‹ Raum Fontane‘scher Romane. II.3 Fontanes › Ambivalenz ‹ in riskanztheoretischer Perspektive Und damit kommen wir zum zweiten Textbeispiel Mathilde Möhring und zum Versuch, das Autor- und Werkstereotyp ›Fontane’scher Ambivalenzen‹, das wir bislang an National- und Regionalstereotypen in Von Zwanzig bis Dreißig verfolgt haben, noch anders zu perspektivieren. 88 Diesen neuen Verstehensrahmen soll die kulturwissenschaftliche Risikoforschung stellen. Kurz zur Erläuterung: Dieser Ansatz definiert ›Risiko‹, konstruktivistisch mit Niklas Luhmann u. a., 89 als säkulares und auf Rationalität gestelltes, beobachtungs-, wissens- und entscheidungsabhängiges Konzept menschlicher ›Unsicherheitsbewältigung‹. Historisch bedingt ist es insofern, als es menschliche Universalthemen wie mögliches Unglück, Glück oder Glückswechsel nicht mehr transzendental adressiert, sondern der individuellen Einschätzung, Verfüg- und Machbarkeit überstellt. So werden – wichtig im Hinblick auf die Soziale Frage und Mathilde Möhring im 19. Jahrhundert – bspw. auch Existenzsicherung und Armutsvermeidung zunehmend zur Frage kluger(kollektiv-staatlicher wie individueller) Beobachtung, Einschätzung, Entscheidung, Steuerung, Einsatz- und Handlungsbereitschaft. Oder, um es sprichwörtlich und stereotyp zu formulieren: ›Glück hat bekanntlich auf Dauer nur der Tüchtige‹, ›nur ihm gehört die Welt‹, ›wer wagt gewinnt‹, auch wenn er dabei ›Kopf und Kragen riskiert‹ – und vor allem: ›Selbst ist der Mann‹ – ›do nothing‹ hingegen ist keine Option. Mit der letzten Formel kommen dabei auch Geschlechterstereotype ins Spiel, wie Fontane sie bekanntlich gerade in Mathilde Möhring satirisch vorführt. 90 Implizit eigen sind sie dem Risiko-Konzept schon an sich in den Aspekten männlich semantisierter Rationalität und Autonomie sowie in der Unterscheidung von risiko-affinem und risiko-aversem Verhalten. Nun ist hier und heute nicht der Ort, ausführlich gendersensible Risikoforschung zu diskutieren. Verdichtet nur so viel: Epigenetische Ansätze wie z. B. von Lise Eliot 91 postulieren geschlechtsdifferentes Risikoverhalten
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(2019) 107
Seite
53
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