Zum Status des Vereinssekretärs Berbig 69 glieder, ja selbst das des Vorsitzenden. Der Grund ist schlicht und einfach zu benennen: In seiner Hand lag, was dem Verein Halt gab, für den Tag und über den Tag hinaus. Der Sekretär hielt die konstituierenden Elemente einer literarischen Gesellschaft beisammen, er verwaltete sie und sorgte für ihre Gegenwart. Weil sich bei ihm alles Wissen des Vereins konzentrierte, etablierte er sich zu dessen Gewissen, tendenziell, individuell abschattiert. Er konnte, hatte er das Zeug dazu, zu dessen wertprägender und-erhaltender Instanz werden, sobald er in sich die Ämter des Protokollanten, des Archivars und des Chronisten vereinte. Wurde er, etwa im Konfliktfall, in den Zeugenstand gerufen, basierte seine Aussage auf dem Faktischen des von ihm angelegten bzw. fortgeschriebenen Schrifttums des Vereins. Treuhänderisch übertrug ihm der Verein bei seiner Wahl diese Bestände und rechnete mit Obhut und Fürsorge zum Besten des Ganzen. Natürlich, von Verein zu Verein gab es Abweichungen in der Amtsausschreibung. Der absoluten Fixierung auf ein Zentrum, in dem ein»Meister« alles Licht neben sich absorbierte – wie etwa im George-Kreis nach 1900 2 –, standen andere Zirkel, in denen der Sekretär als eine Art Stabschef agierte und auch programmatischer Kopf sein konnte(etwa im»Wupperbund«, wo die Brüder Hart als Redakteure der Schriften die Fäden zogen). 3 Eine typisierende und differenzierende Studie zu dieser Schalt- und Waltstelle im literarischen Vereinswesen fehlt. Am Materialmangel liegt das kaum. Spätestens seit dem von Wülfing/ Bruns/ Parr herausgegebenen Handbuch literarisch-kultureller Vereine(1998), Folgeprojekten wie dem Handbuch der Berliner Vereine und Gesellschaften 1786–1815 4 und zahlreichen Einzelstudien 5 verfügen wir über eine breite Faktenbasis. Möglicherweise ist gerade dies Barriere. Denn wer sich auf die Spuren eines Vereinssekretärs begibt, muss viele und weite Erschließungswege gehen, und beabsichtigt er dann auch noch Vergleiche oder gar Typologisches, droht Kapitulation. Aber vielleicht schärfen schon Stichproben und Probebohrungen den Blick für die außerordentliche Virulenz dieser Vereinsrolle. Dieser Aufsatz bietet ein Musterexemplar seiner Gattung an: Wilhelm Traugott Merckel. Sein Name wäre längst vergessen, hätte er seines Amtes nicht in einem literarischen Verein gewaltet, der durch so prominente Mitglieder wie Theodor Fontane, Paul Heyse oder Adolf Menzel im historischen Gedächtnis geblieben ist: der literarische Sonntagsverein Tunnel über der Spree. In diesem 1827 von dem österreichisch-jüdischen Journalisten Moritz Gottlieb Saphir gegründeten Verein trat jener Mann 1840 als sogenannte Rune(Gast) erstmals in Erscheinung, um am 17. Januar 1841 unter dem Vereinsnamen»Immermann« dessen offizielles Mitglied zu werden. 6 Im Tunnel protokoll der Sitzung heißt es: […] Cocceji schlug den OberLandesGerichtsAssessor Herrn von Merckelals arbeitendes Mitglied zur Aufnahme vor. Das Ballottement ergab
Heft
(2019) 107
Seite
69
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