70 Fontane Blätter 107 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte dieselbe und es wurde dem neuen Mitgliede der Name Immermann der immer männliche Friedländer beigelegt. 7 Bis zu seinem Tod im April 1861 blieb Merckel im Verein, treu und als eine seiner Hauptstützen. Fontane, der, wie er mit Pathos bekannte,»das Glück hatte, dem zu früh Verstorbenen im Leben nahezustehn«, wurde gebeten, bei Ordnung seines literarischen Nachlasses tätig zu sein und[dessen Werk – R. B.][…] zu einem Ganzen zusammenzustellen, Erzählungen und ›Studien‹, die in ihrer Mehrzahl jenen humoristisch-phantastischen Ton anschlagen, den der Verstorbene so sehr liebte und mit soviel Glück zu treffen wußte.[…] 8 Das war Freundespflicht gewesen, editorisches Bedürfnis kaum. Denn Fontane, der Merckel im Tunnel kennen gelernt hatte, wusste: Diese Texte, unbestritten ihrer Eigenart, selbst ihrer Qualität, waren nicht eigentliche Stärke ihres Autors. In dem feinziselierten, mehr verdeckenden als freilegenden Portrait Merckels, mit dem er 1898 das große Tunnel-Kapitel seiner Lebenserinnerungen Von Zwanzig bis Dreissig enden ließ, 9 sprach Fontane es unumwunden aus:»Seine mit Sorgfalt und Liebe geschriebenen Protokolle leiteten unsere Sitzungen ein und waren Kabinettsstücke liebenswürdigsten Humors. Vielleicht sind sie das Beste, was er überhaupt geschrieben.« 10 Bevor der Weg in die Tunnel-Welt führt, ist biographische Klärung nötig. Wer war Wilhelm von Merckel? In seinem Vorwort 1862 beließ es Fontane bei der Bemerkung»Kammergerichtsrat hierselbst und durch einzelne seiner Lieder weit über den Kreis seiner amtlichen Tätigkeit hinaus bekannt« und dem Todestag:»am 27. Dezember 1861, im 59. Lebensjahre, […].« 11 Anders 1895 im Tunnel-Kapitel. Hier erfahren wir, dass Merckel im schlesischen Friedland in einer durch das Leinenwebergewerbe reich gewordenen Kaufmannsfamilie aufgewachsen war und Jura in Heidelberg studiert hatte. Als er 1839 ins Berliner Kammergericht berufen wurde, war er bereits mit Henriette geb. von Mühler verheiratet(1836) und in den Adelsstand erhoben worden(1837). Im nachrevolutionären Berlin wurde Merckel April 1850»Chef der ministeriellen Preßabteilung« 12 , die als»Literarisches Cabinet« dem Königlichen Staatsministerium angegliedert war. Obwohl nur bis Dezember 1850 dort tätig, hat man Merckels Wirken dort »ausschlaggebende[-] Bedeutung« beigemessen. Er habe, so Charlotte Jolles in ihrer Dissertation, jenes Cabinet»nach vielen Seiten hin erweitert und ihm erst jetzt eine feste innere Organisation gegeben« 13 . Seine politische Position war konservativ, bürokratisch, patriotisch – dies alles gelinde gesagt. In seiner Hand lag während dieser Monate die»› Organisation der gesamten konservativen Presse, und zwar vorzugsweise der preußischen
Heft
(2019) 107
Seite
70
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