Zum Status des Vereinssekretärs Berbig 73 gewährte«, schwadronierte Merckel im eingeschliffenen Haupt-Duktus, »[ eingefügt: wo das Gehorchen so leicht war], scheide ich ungern, um das schwerere Amt des Regierens zu üben, wo Vorbilder je mehr entmuthigen, je größer sie waren.[…]« 26 . Die im Verein gepflegte Sprache ist gewöhnungs-, aber mehr noch interpretationsbedürftig. Sie wirkt durch und durch stilisiert, operiert mit zahllosen stehenden Wendungen und bemühten Witzeleien, die sich selbst der Humorloseste noch zu eigen machte. Dem lustigen Wort wurde die lausige Wahrheit geopfert. Merckels Karrieresprung benötigt Hintergrund. Statt der fehlenden Protokollzeugnisse seiner ersten Amtsperiode findet sich im Vereinsnachlass Anderes, vielleicht sogar Gewichtigeres. Ein gutes Jahr nach Aufnahme hatte Immermann/Merckel nämlich das Heft in die Hand genommen und zu einem Streich angesetzt, der auf die verwundbarste Stelle des Vereins zielte. Nachdem sein Gründer Saphir 1827/28 mit ihm von einer Pressefehde in die nächste gestürzt war, hatte man sich strikte Öffentlichkeitsabstinenz verordnet. Was im geselligen Kreis selbst an unbürgerlichem Allotria getrieben wurde, es durfte die gesellschaftliche Grenze jenseits der Vereinsgeborgenheit nicht überschreiten. Übermut und Tollheit, wie sie anfangs gang und gäbe waren, hatten ihren Kurswert eingebüßt. Alles, was die bürgerliche Reputation gefährdete, stand unter Verdikt. Das Misstrauen gegenüber der eigenen Verskunst wie dem Urteilsvermögen der Vereinsgefährten saß tief – und nach wie vor tief auch deren Stand auf der Skala bürgerlichen Ansehens. Vor dem Hintergrund dieser Vereinsbefindlichkeit, die die jüdischen Tunnel-Mitglieder Ludwig Lesser(›Petrarka‹), Siegmund Stern(›Collin‹) oder J oseph Arnoldt (›Tacitus‹) mit dem ministeriell verankerten Heinrich von Mühler(›Cocceji‹) oder mit dem Theater und Militär verbändelten Louis Schneider(›Campe‹) einte, musste das Papier, das Merckel am 7. März 1842 vorlegte, Unruhe erzeugen. Es trug den Titel»Plan zur Herstellung eines immerwährenden Archivs für die Mitglieder des Sonntagsvereins« und beabsichtigte nichts Geringeres, als den Tunnel aus der abgedunkelten sonntäglichen Reimgemütlichkeit mutvoll ins öffentliche literarische Leben zu geleiten. Behutsam, versteht sich. Wilhelm von Merckel setzte damit ein Signal. Seine Rolle als Sekretär überschritt die Grenze des Dienenden, in die er sich vorgeblich geschickt habe, zum Dirigierenden. Er wies in eine Richtung, die so nahe lag, wie sie dem Gros der Mitglieder fern stand. Kaum im Verein angekommen, hatte Merckel dessen Wert gewogen – und ihn in der mittlerweile umfänglichen Späne-Sammlung erkannt. Sein Papier spiegelte die Personalunion, die ihren Verfasser auszeichnete: hier der dilettierende Dichter, dort der erfahrene Jurist. Was auf dem Tisch zur Beurteilung lag, war ein durchgepunktetes strategisches Konzept. Es listet Erfassungsverfahren auf, benannte Hierarchien, knüpfte ein Beurteilungsnetz, gab Termine vor, hatte die
Heft
(2019) 107
Seite
73
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten