Heft 
(2019) 107
Seite
78
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78 Fontane Blätter 107 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Fontane und Merckel, Poet und Protokollant, Skribent und Sekretär. Der eine gewillt, sich als Poet im Tunnel zu etablieren, der andere, den Tunnel zu aktivieren: beide auf ihre Weise, unverwechselbar, beide ihres Terrains gewiss und ungewiss in einem, beide treten aus der Reserve, beide bezie­hen Stellung. Das war die Konstellation, spätestens seit dem ersten Preu­ßenlied,»Der alte Dörflinger«, das Fontane am 25. Oktober 1846 vor- und das ihm»Akklamation« 42 eintrug. Und sie setzte sich fort bis zum 16. Mai 1847, als mit»Schill« das vorerst letzte dieser Lieder vors Vereinsgericht trat. Ernst Kohler hat schon 1940 das Schicksal der Fontaneschen Preu­ßenballaden im Tunnel aus den Quellen sorgsam entwickelt. Sein Augen­merk galt der Gattung. Ihm war der Protokollant weitgehend der Verein. 43 Mehr als Merckels profilstiftendes Protokollieren interessierte ihn das Ur­teilsprofil des Tunnel. Merckels Protokoll vom 18. April 1847 ist signifikant. Signifikant deshalb, weil es die Lage von seiner, des Sekretärs-Seite thema­tisiert: Dem ärmsten Landpfarrer, hebt er an, gehe es besser als dem Berli­ner Tunnelsekretär. Jener könne»von seiner Vokation bis zu seiner Emeri­tirung immer wieder dasselbe sagen« 44 , von diesem jedoch erwarte man stets Neues.»Lieber Himmel! Wo soll das herkommen?« So ruft der Schrei­ber aus und scheint damit schon jene drei Späne im Blick zu haben, die Bernhard von Lepel für den nicht-anwesenden Fontane vortrug:»Zieten«, ­»Seidlitz« und»Schwerin«. Die ersten beiden schnitten mit»sehr gut« ab, das dritte mit»ziemlich«. Doch auch in den ersten beiden Generalsliedern liegt den Gedichten und mehr noch dem Protokollanten etwas in der Que­re,»worüber alle Welt stolpert, nehmlich der Tod«: Wenn der»auf dem gemeinen Sterbebette« stattfinde und nicht auf dem Schlachtfeld, dann »kratzt sich die Poesie sehr hinterm Ohr, wie sie den Seligen anständig begraben soll, da sie nicht, wie eine Garnison, blos hinter der erlösten See­le herzuschießen hat, sondern, als barmherzige Schwester, ihm die Augen zudrücken muß.[]« 45 Formulierungen wie diese sagen etwas über die Sache aus und über deren poetischen Wert. Aber sie sagen auch etwas durch die Weise, in der sie es sagen. Der Protokollant entheroisiert das Sujet, dessen Poetisierung der Dichter betreibt, indem er das Heroische profaniert. Wo Fontane sei­nen Gegenstand mit Ironie poetisiert, ironisiert Merckels Kritik dieses Po­etische. Indem sich beide auf Sprachebene annähern, halten sie Abstand in der Sache. Fontanes Preußenlieder verknüpften innovativ Patriotismus und Poesie, deren kategoriale Neubestimmung sie damit erzwangen. Diese Gedichte, deren vaterländischer Stoff blenden musste, blendeten den Pro­tokollanten nicht, jedenfalls nicht lange. Was er mit ihnen gewann, war mehr: substantielle Urteilskraft. Genau diese Urteilskraft, die protokolla­risch über Wochen hin ihren scharfen und schärfenden Ausdruck fand, 46 kam dem Verein zu Gute. Dieses heterogene Gebilde, das die angestreng­ten Rituale nur mühsam gebändigt hatten, homogenisierte punktuell