Macht endlich den Fontane! Erler/ Trilcke 89 dazugehört – Fontane ist»unser« und»nationales Erbe« und so weiter – eingebracht. Wichtig aber war die politische Geste, denn das Verhältnis der kulturpolitischen Behörden zu Fontane war noch in den sechziger Jahren keineswegs ungebrochen. Gottfried Keller war genehmigt, Kleist, der einen Befürworter im Bildungswesen hatte, auch, Theodor Storm ebenso. Nur bei Fontane hat es noch in den sechziger Jahren gehakt. Eine vollständige Ausgabe der Wanderungen war zum Beispiel unmöglich. Wir haben vom Aufbau-Verlag immer wieder Versuche unternommen, aber wir bekamen einfach keine Erlaubnis. Das änderte sich nach 1969, die Ansprache von Bruno Haid war da ein wichtiges Moment. PT: Wobei es schon vorher Initiativen und, so könnte man sagen, eine ›Öffnung‹ gegenüber Fontane gab … GE: Im Aufbau-Verlag gibt es ein Protokoll von einem Treffen mit Georg Lukács, das muss im Mai 1955 gewesen sein. Lukács war damals – also vor dem Aufstand in Ungarn 1956, nach dem er als ›Faschist‹ galt – noch der Mann, der sagte, wo es langgeht, in welche Richtung sich die marxistische Literaturwissenschaft entwickelt. In dem Protokoll, das in indirekter Rede Lukács zitiert, heißt es dann:»Seit Nietzsche wäre es Mode, aus Stifter einen großen Epiker zu machen, den Hebbel einmal das Komma im Frack genannt hat. Sogar Thomas Mann sei auf Stifter hereingefallen. Wenn der Verlag Keller, Storm, Raabe, Fontane herausgibt, so arbeitet man damit der philisterhaften Methode der Verherrlichung von Stifter entgegen.« In einem anderen Gespräch mit dem Aufbau-Verlag soll Lukács gedrängt haben:»Macht endlich den Fontane!«. Das sind die Anfänge, denn im Verlag sahen das nicht wenige ähnlich. Aber Fontane blieb schwierig. PT: Was sich in den sechziger Jahren sukzessive änderte? GE: Ja, aber in erster Linie für die Romane und Erzählungen. Das war der Teil, den man im Kulturministerium als akzeptablen Fontane einsortierte. Diese Werkteile waren in der DDR ja schon von 1950 an erschienen, zuerst in Leipzig in dem kurzlebigen Verlag Volk und Buch, das war die erste Nachkriegs-Fontane-Ausgabe in der DDR, herausgegeben von I. M. Lange, Dozent an der Humboldt-Universität. Und es gab eine umfangreiche Ausgabe im Verlag Das Neue Berlin, herausgegeben von Christfried Coler, sogar mit Briefbänden und solchen Ausschnitten aus den Wanderungen, die als unproblematisch galten – eine Ausgabe, die merkwürdigerweise noch in Frakturschrift gesetzt wurde. Beim Aufbau-Verlag hatten wir, neben Einzelwerken, seit 1964 in der Bibliothek Deutscher Klassiker eine fünfbändige Ausgabe von Hans-Heinrich Reuter. Und es gab die von uns sogenannte Fensterreihe, in der wir sämtliche Romane in einer lockeren Folge herausbrachten, bereits mit ausführlichen Nachworten. Diese Bände waren auch gewissermaßen Vorarbeiten für die Ausgabe der Romane und Erzählungen in acht Bänden, mit der wir dann 1969 im Jubiläumsjahr an die Öffentlichkeit gegangen sind.
Heft
(2019) 107
Seite
89
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten