Heft 
(2019) 107
Seite
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90 Fontane Blätter 107 Freie Formen PT: Für die Sie dann auch mit den Beständen des Theodor-Fontane-Archivs gearbeitet haben. GE: Das war eine wichtige Entwicklung. Wenn ich mich richtig erinnere, war es am Gründonnerstag 1964, dass wir zu einem Gespräch mit dem da­maligen Archivleiter, Joachim Schobeß, zusammenkamen. In dem Ge­spräch hat er uns alle Türen und Archivkästen geöffnet:»Selbstverständ­lich dürfen Sie alles benutzen, was wir haben«, hieß es da,»wir stellen Ihnen alles zur Verfügung.« Damit hatten wir eine ganz andere Materialba­sis für die Ausgabe von 1969. PT: Ihr Anteil an der Ausgabe von 1969(die ersten von Ihnen herausgege­benen Fontane-Bände, die bis 1962 zurückreichen, lasse ich einmal außen vor) ist ein erster Meilenstein in Ihrer mittlerweile über ein halbes Jahrhun­dert währenden Herausgeber- und Forschertätigkeit zu Fontane und seiner Familie. Flankierend erschienen 1968 bereits die Briefe in zwei Bänden, in den siebziger Jahren kamen dann endlich auch die vollständigen Wande­rungen. Bevor wir aber über das Jahr 1969 hinaus schauen, würde mich interessieren, wie Sie eigentlich zu Fontane gekommen sind? GE: Ich habe 1951 in Leipzig das Studium aufgenommen, den Schach von Wuthenow hatte ich damals schon gelesen. Der richtige Einstieg war dann die fünfbändige Ausgabe im Verlag Volk und Buch, die ich schon erwähnt habe. Keine Ahnung, wie ich damals das Geld dafür aufgebracht habe, um alle Bände zu erwerben, aber ich hatte sie. Und ich las sie, las sie alle. Es kam dann ein glücklicher Umstand hinzu: In einem Oberseminar von Hermann­August Korff hatte ich mich für einen Vortrag über Schillers Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen gemeldet. Der Vortrag gefiel Korff ffenbar und ich bekam das Angebot, für ihn als Hilfsassistent zu arbeiten, wofür es ein Stipendium gab, 180 DDR-Mark. Und es gab ei­nen Schreibtisch im Vorzimmer von Korff, ein echtes Privileg. Aus dem Fenster hinaus sah man damals noch in die ausgebrannte Ruine der alten Universität. Und etwa fünf Meter von mir entfernt brütete, unvergesslich, ein Pärchen Turmfalken. Als es dann darum ging, ein Thema für die Diplomarbeit zu finden, hat­te ich den Stand bei Korff so gefestigt, dass er sagte:»Sie können irgendein Thema wählen«. Was großartig war, denn eigentlich konnte man bei ihm nur innerhalb des ›Geistes der Goethezeit‹ sein Diplom ablegen. 1832 war da also Schluss. Aber ich habe Mut gefasst und ihm Fontane als Thema vorgeschlagen,»ja, interessanter Autor, machen Sie«, hat er da nur gesagt. Ich bin mir nicht sicher, ob Korff überhaupt jemals Fontane gelesen hatte, aber für mich war das ein Glücksfall. Und da 1954 auch, herausgegeben von Kurt Schreinert beim Verlag Quelle& Meyer in Heidelberg, die Briefe an Georg Friedlaender erschienen waren, hatte ich genug Material für eine Arbeit über das Gesellschaftsbild in den späten Romanen Fontanes. Das war mein Anfang. Sozusagen von Schiller zu Fontane.