Heft 
(2019) 107
Seite
92
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92 Fontane Blätter 107 Freie Formen vom Fontane-Archiv, also vor allem von Joachim Schobeß, der das alles durchboxen musste, Gutachten schreiben, Rückfragen beantworten, das hat ihm einige graue Haare eingebracht. Gelohnt hat es sich, die Atmo­­s­phäre damals war großartig. Und für die Fontane-Forschung, nicht nur in der DDR, sondern als internationales Unternehmen, war die Konferenz ein Meilenstein. PT: Unterstützend kamen noch die Fontane Blätter hinzu, die seit 1965 vom Theodor-Fontane-Archiv herausgegeben wurden. Sie waren vierzig Jahre lang Mitglied der Redaktion. GE: Die Blätter waren in der Tat eine geniale Erfindung, auch weil dort ein Austausch der Forschung stattfinden konnte, selbst wenn man nicht direkt miteinander reden konnte. PT: Ende der sechziger Jahre standen die Zeichen für eine nachhaltige ­Fontane-Rezeption, für  Forschung und Edition also gut. Sie haben 1969 vorhin sogar als die ›Wende‹ bezeichnet. Entsprechend größer wurden für Sie, in der DDR, dann auch die Gestaltungsmöglichkeiten. Ab 1976 gaben Sie, gemeinsam mit Rudolf Mingau, bei Aufbau die Wanderungen heraus, und zwar vollständig. GE: Noch in den sechziger Jahren waren die Wanderungen nicht zu machen. Das war immer noch die Zeit der Kollektivierung der Landwirtschaft »Junkerland in Bauernhand«. Und im Kulturministerium hielt man die Wanderungen für eine einzige Preußensängerei, für eine Verherrlichung des ostelbischen Junkertums. Was für ein Missverständnis! Aber 1973 oder 1974 bekamen wir dann endlich die Genehmigung und konnten die Ausga­be machen, wobei die bei jedem neuen Band großen Ärger brachte. PT: Weil die Genehmigung problematisch war? GE: Nein, weil wir den Bedarf mangels Druckpapier nicht decken konn­ten. Im Archiv des Aufbau-Verlags, das jetzt in der Staatsbibliothek lagert, gibt es dicke Ordner mit Briefen von empörten Lesern, die das Buch wieder nicht bekommen konnten. PT: Wie erklären Sie sich diese Nachfrage? GE: Das hatte mit einem Bedürfnis nach Geschichte zu tun. Es hatte ja eine große Einebnung stattgefunden. Jene Regional- und Lokalgeschichte, die mit den Adelshäusern verbunden war, spielte keine Rolle mehr. Man denke an die fürchterliche Art, mit der in der DDR Umbenennungen vorgenom­men wurden, etwa bei Straßennamen: Da wurde der Name, der zum Bei­spiel auf einen alten, ehemals ansässigen Baron verwies, ausgetauscht und dann hieß die Straße fortan eben ›Thälmannstraße‹ oder so. Es dominierte eine populäre und falsch verstandene marxistische Sicht auf Geschichte. Groteskes Beispiel war die Umbenennung von Neuhardenberg in Marxwal­de; auch Engelshausen soll im Gespräch gewesen sein. Die Menschen aber hatten ein Interesse an der Geschichte ihrer Region, ihrer Orte. Und es