94 Fontane Blätter 107 Freie Formen hin; und dann war da noch die kleine Aufbau-Ausgabe. Die Wiedervereinigung bot Anlass für kühne Träumereien: Jetzt leben wir, Ostdeutsche und Westdeutsche, in einem geeinten Land und können frei miteinander kommunizieren, können international agieren. Wenn wir wollen, dann könnten wir jetzt endlich die Fontane-Ausgabe machen. Als dann Bernd F. Lunkewitz 1991 den Aufbau-Verlag kaufte und sagte:»Fontane ist gut und das machen wir«, bekam die Träumerei eine ökonomische Grundlage. Wenig später legten wir los. PT: Besondere Aufmerksamkeit hat der von Ihnen und Ihrer Frau, Therese Erler, herausgegebene Ehebriefwechsel zwischen Theodor und Emilie Fontane erregt. Das war zu einem anderen Jubiläumsjahr, dem 100. Todestag 1998. GE: Diese Briefbände hatten eine lange Vorgeschichte. Mich hat stets geärgert, dass der gute Fontane immer wieder etwas abfällig über seine Frau spricht. Zuhause hatte ich eine zerlesene Photokopie von dem Bändchen, das Hermann Fricke 1937 über Emilie Fontane veröffentlicht hatte. Das hatte ich alles sehr genau gelesen und fand es hochinteressant, war neugierig. Otfried Keiler hat mich bei den Recherchen unterstützt, so dass sich das Projekt in den achtziger Jahren verdichtete. Es gab ja auch so viele Briefe im Fontane-Archiv, die noch nicht oder nur bruchstückhaft veröffentlicht waren. Auf einer der ersten Jahrestagungen der damals gerade neu gegründeten Theodor Fontane Gesellschaft, 1992 in Gosen, habe ich dann einen Vortrag zu Emilie gehalten. Es war rappelvoll, vielleicht 400 Leute. Einige davon hörten mir mit steinerner Miene und, so heißt es irgendwo bei Fontane, ›innerem Kopfschütteln‹ zu. Emilie war eben bis in die neunziger Jahre hinein eine fast unbekannte Person, und auch kein ›würdiger Forschungsgegenstand‹. PT: Diese Ausweitung der Fontaneforschung,-biographik und-editorik auf die Familie scheint mir eine wichtige Entwicklung der 1990er Jahre zu sein; die Arbeiten von Regina Dieterle gehören ja auch in diesen Zusammenhang. Auf einmal ist Fontane eben nicht mehr der solitäre männliche Autor, sondern wird eingebettet in eine Art Produktionsgemeinschaft. GE: Ich habe das neulich mal so formuliert: Das Jahr des 100. Todestages Theodor Fontanes war das Geburtsjahr der Schriftstellerfrau Emilie Fontane. PT: Und das Jahr des 200. Geburtstags von Theodor Fontane, was ist das für ein Jahr? GE: Es war zuletzt ein bisschen ruhiger geworden um Fontane, so mein Eindruck. Nach dem großen Jubiläum, dem 100. Todestag, hat das Interesse nachgelassen. Das ist eine normale Abschwungkurve in der Rezeption. Die vielen Dinge, die jetzt mit dem 200. Geburtstag auf uns zukommen, werden das sicher ein bisschen aufmöbeln. Aber insgesamt machen wir, glaube ich,
Heft
(2019) 107
Seite
94
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