Heft 
(2019) 107
Seite
166
Einzelbild herunterladen

166 Fontane Blätter 107 Rezensionen und Annotationen schwankt er in seinem Umgang mit der»Chinesengeschichte« zwischen Zurückweisung im Zeichen eines aufklärerischen Kampfs gegen Aberglau­ben, Instrumentalisierung zu»erzieherischen« Zwecken und der Ungewiss­heit,»ob nicht doch was dran sei«, was nur bislang der wissenschaftlichen Erkenntnis nicht zugänglich sei. Ebenso viel und wenig wie an den Spuk glaubt er in einer Schicht seines Bewusstseins auch an den»Duellfetisch«. Seine eigenen»Vorstellungen«( Effi Briest, Kap. 35) von der Macht des»Ge­sellschafts-Etwas«, die Teil des kollektiven Imaginären sind, erzeugen diese Macht erst, die er sodann als äußeren Zwang erfährt(S. 236 f.). Der realis­tische Roman, so Begemanns Fazit, schildert das soziale Imaginäre mit, das nicht nur zur Realität gehört, sondern diese zum Teil erst hervorbringt, und im Phantastischen sichtbar wird(S. 240). Zeigt Begemann an Effi Briest das Überschreiten eines konventionellen Realismusbegriffs in Richtung des Phantastischen auf, so demonstriert Claudia Liebrand in ihrem Aufsatz Sommerspiel und Wintermärchen. The­ater und Genres in ›Stine‹, wie das realistische Verklärungspostulat auf die Ebene der Figuren verschoben wird: Diese sind es, die verklären und idyl­lisieren(etwa Stine ihre Arbeitsbedingungen), während der Erzähler de­couvriert. So legt der Text den Funktionsmechanismus der Verklärung bloß (S. 149). Darüber hinaus analysiert Liebrand das Perspektivierungsspiel des Textes mit Blick auf seinen theatralen Charakter, der sich in den Insze­nierungen, dem Spiel im Spiel auf Handlungsebene und der chorischen Funktion der Polzins ebenso manifestiert wie in den aufgerufenen Refe­renztexten, den hintereinander geschalteten Dialogkapiteln und ­Waldemars Suizidmonolog. Der Rolle von Theater und Inszenierung innerhalb des Erzähltextes widmet sich auch Ulrike Vedders Beitrag Ringe, Glocken, Tr ä nen. Theatra­lität und Diskretion in Theodor Fontanes Roman ›Graf Petöfy‹. Mit(gesell­schaftlichem) Rollenspiel, Spielregeln und Spielsemantik befasst sich Ste­fan Willer am Beispiel von Irrungen, Wirrungen. Elisabeth Strowick verbindet die Themen der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, der»Über­lebsel« und des Szenischen in ihrem Aufsatz Die Poggenpuhls. Fontanes Realismus der Überreste, in dem sie u.a. die Verdoppelungs- und Überlap­pungsstrukturen zwischen Bühnenstück und Zuschauern analysiert, die etwa entstehen, wenn Wildenbruchs Quitzows aufgeführt werden, wäh­rend die Poggenpuhls im Publikum sitzen,»die in Pommern so ziemlich dasselbe[waren], was die Quitzows in der Mark waren«( Die Poggenpuhls, Kap. 6). Den Rückzug des Erzählers auf eine beobachtende Rolle und die Kons­titution des Sozialen durch die wechselseitige Beobachtung der Figuren sowie die Mitteilung dieser Beobachtungen in Gespräch und Brief erläu­tert Peter Uwe Hohendahl am Beispiel von Unwiederbringlich, während