188 Fontane Blätter 107 Informationen dass trotz der späten und dennoch akkuraten Wiedergabe der Zitate aus dem Goethe-Buch nur eine einmalige Lektüre erfolgt ist. Unter Hinzuziehung des historischen Kontextes führte Elsaghe zugleich politische Motive von Thomas Mann an, die diesen dazu erwogen haben, sich Goethe als Nationalschriftsteller in seinen öffentlichen Verlautbarungen jeweils dienstbar zu machen. Demzufolge können diachrone Betrachtungen von Lektürespuren unter Berücksichtigung des historischen bzw. politischen Kontextes Rückschlüsse auf die Motive ihrer Verwendung zulassen. In Stephan Matthias´(Oldenburg) Vortrag»Von der Lektüre zum Zitat – Randbemerkungen zu Stefan Zweigs Randbemerkungen« spielten Lesespuren als Hinweis der Lektüre- und Zitierpraxis zur Textproduktion eine zentrale Rolle, wobei insbesondere die Bücher im Fokus standen, die Zweig für seine historischen Biographien verwendet habe. Matthias verwies unter Berücksichtigung der spärlich vorhandenen Lesespuren darauf, dass Zweigs Randbemerkungen stets im Zusammenhang mit anderen Materialien berücksichtigt werden müssen. Demgegenüber stand in dem Beitrag»Diachronie und Farbe. Der grüne Stift in der Bibliothek Paul Celans« von Clément Fradin(Nantes) abermals die diachrone Betrachtung von Lese- und Gebrauchsspuren im Vordergrund. Schließlich würden die mit einem grünen Stift hinterlassenen Lesespuren neben der synchronen Betrachtung ebenso eine historische Rekonstruktion der Lektüre ermöglichen. Birgit Dahlkes(Berlin) Beschäftigung mit Christa Wolfs Thomas Mann-Lektüren sowie deren Wiederaufnahme in Wolfs Reden und ihrem 2010 erschienen Roman Stadt der Engel verwiesen auf Ähnliches. Dahlke konzentrierte sich auf die Bände, die Christa Wolf mit nach Kalifornien nahm, sowie auf die darin hinterlassenen Anstreichungen, denen Dahlke sich in ihrem Vortrag»Christa Wolf auf den Spuren des Exilanten Thomas Mann« widmete. Christa Wolfs Lesespuren, die sie in dem 1992/93 erneut gelesenen Roman Dr. Faustus und den parallel zu dessen Entstehung verfassten Tagebüchern von Thomas Mann hinterlassen habe, wiesen jeweils eine unterschiedliche Lektürezeit auf. Vor dem Hintergrund der diachronen Betrachtung ihrer Annotationen und den darin enthaltenen politischen Bewertungen können zugleich Rückschlüsse auf Christa Wolfs eigenes Autorverständnis gezogen werden. Hier wurde abermals deutlich, dass die Bibliothek für den Autor sowohl einen Ort der Erfindung als auch der Wiederfindung darstelle und somit Lesespuren als Inskriptionen einen neuen Kontext in das gedruckte Werk hineintragen können. Im Vortrag»›!?!!‹ – Annotationen von Karl Wolfskehl, esoterisch/exoterisch«, bei dem Wolfskehl und seine Bibliothek als ›weltgeschichtliches Refugium‹ im Zentrum standen, wendete sich Caroline Jessen(Marbach) hingegen der Frage nach der exoterisch/esoterischen Erfassung von Lesespuren zu. Wolfskehls Lesespuren könnten sowohl wichtige Hinweise zur biographischen Situation als auch zu seiner habituellen Lektüre liefern. Dabei stelle sein Pflichtbewusstsein zur Überlieferung ein Hauptmotiv seiner Lesespuren dar, das mit Wolfskehls Befürchtung der Zerstreuung der eigenen Bibliothek einhergegangen sei. Obgleich seine Notizen und Annotationen sich an andere richteten, würden sie sich der Entschlüsselung versperren und lediglich im Verborgenen weitergegeben. Entsprechend der Idee von der aus der Zerstörung bzw. Zerstreuung hervorgehenden Schaffung eines neuen Zusammenhangs könnten auch Annotationen einen Text in einen neuen Sinnzusammenhang bringen, indem sie einen Zugang zum Text eröffnen, Gelesenes konkretisieren und aktualisieren. Zum einen finde dabei die
Heft
(2019) 107
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188
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