Heft 
(2019) 108
Seite
66
Einzelbild herunterladen

66 Fontane Blätter 108 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Fontane und Fontane. Ein Schriftsteller pur et simple. Theodor Fontanes literarische Selbst(er)findung 1870/71 Roland Berbig Als ich in den kleinen Raum eintrat, sang neben mir eine Pensions-Engländerin die Gnadenarie, und an dem schlecht eingehakten Fenster rüttelte und rasselte der Sturm. Gleich­viel. Ich warf den Reisesack in die Ecke, mich selber aufs Sofa, kreuzte die Hände über der Brust, atmete hoch auf und sagte das eine Wort: Frei. 1 1 Dieses Gebäude ist ein Fontane-Ort. Nicht ganz, aber ideell doch weitge­hend. Umbauten 1905 haben den Raum verändert, nicht die Aura, die ihm eignet, nicht den Geist, der ihm gebührt. Hier trat der 16-jährige»Henri Théodore Fontane aus Neu Ruppin« 2 im Oktober 1836, nach Abwesenheit durch den Umzug seiner Eltern nach Neuruppin und später Swinemünde, wieder der französisch-reformierten Gemeinde bei, der»Kirche seiner Vor­fahren« 3 also, hier heiratete er am 16. Oktober 1850, und hier im Becken wurden zwei seiner Kinder getauft. Besuchte er allemal selten, das ist ein­zuräumen einen Gottesdienst, dann suchte er diesen Ort hier auf. Und der Pfarrer, der bei all diesen sakralen Akten den religiösen Zeremonienmeis­ter gab, hieß Auguste Fournier. Seine Wertschätzung ließ ihn auch zu ei­nem geschätzten Gönner des Hauses Fontane werden, allen voran Emilie Fontanes. Dass diesem Würdenträger unter dem geweihten Dach 1869 sei­ne wohlerworbene Würde abhanden zu kommen drohte, es gehört zu die­sem Fontane-Ort. Als Januar 1869 ein trauungswilliges Paar vor den Altar trat, dessen Braut auf dem Kopf einen Myrthenkranz, unter dem Herzen aber bereits ein Kind trug, ließ sich Fournier zu einer Ohrfeige und dem Ausruf»Meine Tochter, was hast du getan!« hinreißen. Eine Presselawine brach los, von einem geistlichen Attentat am Altar war die Rede, und die »Fournier´sche Skandalaffaire« machte die Runde, konfessionelle Grenzen sprengend. Ende Juni 1869 fand die öffentliche Verhandlung gegen den Ober-Konsistorialrat statt. Der ›Genferische Papst‹, wie Fontane ihn titu-