Heft 
(2019) 108
Seite
106
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106 Fontane Blätter 108 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte 10 Grad Kälte. Es mochte 3 sein, höchstens Uhr. Auf dieser Treppen­stufe saß sie nun bis nach, also wenigstens drei und eine viertel Stun­de. Dann kam Ida. Man kann doch auch zu rücksichtsvoll und zu schamhaft sein. Denn wenn sie geklingelt hätte[eine Klingel mit Seilzug, die im Flur anschlug], hätte sie mich freilich im Hemde gesehn und bei meiner verführerischen Gewalt ist das freilich kein Spaß. Sie lebt nun heute von Tee, Sodawasser und Rhabarber.« 2 Die Rückkehr der Frau, die ja morgens durch sein Schlafzimmer gegangen sein musste, hatte er offenbar nicht bemerkt. Zu dem sich anschließenden Esszimmer gab es aber auch keine Tür die frühere Zwischenwand war bis auf zwei schmale Reststücke entfernt worden, sodass die Flurtür schon weiter weg war. Der Esszimmerteil selbst war groß genug, einen runden Tisch für acht Personen aufzunehmen, und bot auch noch Platz für einen Schrank mit Gläsern und Geschirr, sicherlich an einem der kurzen Wand­reste aufgestellt. Es kam allerdings nicht viel Tageslicht dorthin, zumal ­Fontane die halb verglaste Tür von seinem Arbeitszimmer her auch noch mit einer Landkarte zugehängt hatte. Da aber immer erst zum Abend ein­geladen wurde, musste ohnehin bei Lampenlicht gegessen werden, und so fiel es nicht auf. Gefrühstückt wurde im Arbeitszimmer, der ovale Tisch vor dem Sofa hieß ausdrücklich Frühstückstisch. Wie man sich die Abendrunden bei Fontane vorzustellen hat, lässt sich einer Szene in Frau Jenny Treibel entnehmen, wo Studienrat Willibald Schmidt in der Adlerstraße gewöhnlich sechs Kollegen empfängt. Man versammelt sich»um einen runden Tisch und eine mit einem roten Schleier versehene Moderateurlampe«, also eine Petroleumlampe, bei der das Öl durch eine unter Druck stehende Kanüle zum Docht gelangte, sodass eine über Stunden gleichmäßige Flamme gewährleistet war. Unter der Lampe steht der»mit Lichtern und Weinflaschen gut besetzte Tisch«, dazu ein paar»auf einem Basar gewonnene Porzellanvasen« mit kleinen Blumen­sträußen. Das Servieren und Abtragen besorgt die Hausgehilfin, doch kann man sie auch mit einem Glöckchen rufen. Für Kleinigkeiten steht die Tochter Corinna aber lieber selbst auf. 3 So wird es auch zugegangen sein, als Fontane im Januar 1892 den jun­gen Gerhart Hauptmann zu sich eingeladen hatte. Georg Friedlaender ge­genüber klagt er Tage zuvor, welche»Riesenarbeit« es sei, eine passende Umrahmung für ihn zu finden.»Heute kann der nicht und morgen der and­re nicht und so geht es weiter.« 4 Gleich infrage kamen Paul Schlenther und Otto Brahm, Förderer Hauptmanns an der»Freien Bühne«, doch über sie hinaus war offenbar guter Rat teuer. Brahm konnte dann noch nicht ein­mal, sondern statt seiner nur Fritz Mauthner, Journalist, Parodist und ­irrlichternder Freigeist, den Fontane deshalb gar nicht so sehr schätzte. Als Lückenbüßer mussten Sohn Theodor und seine Frau herhalten, auch er wegen seiner»Ledernheit« eher nicht gemocht, aber als frisch ans