Heft 
(2019) 108
Seite
107
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Fontanes Arbeitsumgebung  Seiler 107 ­Kriegsministerium berufener Intendanturrat immerhin vorzeigbar. Ehe­frau milie und Tochter Mete waren ohnehin zugegen. Gerhart Hauptmann in seiner Erinnerung hebt hervor, dass das Essen, »so klein und einfach der Haushalt im ganzen war«, nach»Form und Gehalt ... französische Verfeinerung und Kultur zeigte«. Mehr beeindruckte ihn allerdings die Vorliebe des Hausherrn für allerlei»Zweideutigkeiten«, die er sich in einem»lustigen Geplänkel« mit einer»jungen und hübschen Frau« erlaubte, eingebunden in den»bezaubernden Fluss seiner meist übermüti­gen Konversation«. 5 Nicht mitbekommen hat er offenbar, dass es sich bei der»reizenden Frau« um Fontanes Schwiegertochter Martha, geborene Soldmann, handelte, also die Ehefrau des mit am Tisch sitzenden Sohnes Theodor. Mache man sich klar, was das besagt!»Von 6 bis 12½« hatte man sich zu acht Personen unterhalten, fünf Familienmitglieder und drei Gäste, und die Gesellschaft»verlief glänzend«, wie Fontane danach berichtet 6 doch für Gerhart Hauptmann enthüllte sich nicht, dass die junge Frau und Fontanes Sohn ein Ehepaar waren. Wie ganz und gar unpersönlich muss die Unterhaltung dann geführt worden sein! Oder hat Hauptmann das Fa­milienverhältnis im Zeitabstand der Niederschrift nur vergessen? 7 Wie auch immer, kein Zufall ist, dass Fontane Friedlaender gegenüber auf die Zusammensetzung der groß herausgestellten»Gesellschaft« nicht zurück­kommt. Es war ihm zweifellos peinlich, dass er eigentlich nur drei Gäste gehabt hatte. Der bemerkenswerteste Raum in der Potsdamer Straße ist aber natürlich das Arbeitszimmer. Es war mit dreißig Quadratmetern das größte der Zim­mer, allerdings wie die gesamte Etage nur etwa zweieinhalb Meter hoch. Manche Besucher wunderten sich,»dass ein so berühmter Mann in so be­scheidenen Räumen wohnte man konnte mit ausgestrecktem Arm beinahe die Zimmerdecke berühren«. 8 Dem Aquarell von Marie von Bunsen zufolge könnte die Decke zwischen den Balken zum Dachboden hin sogar flache Bögen gehabt haben, damit die Zimmer etwas höher wirkten. Folgt man den Bildaufnahmen dieses Raumes, so sieht man auf dem Foto von 1896 links über der verhängten Tür zum Esszimmer ein Gipsme­daillon, das nach der Angabe von Friedrich Fontane»vermutlich das Profil Paul Heyses« zeigt. Wirklich Paul Heyses? Das ist doch sehr unwahrschein­lich. Paul Heyse hatte einen Vollbart, das Bild passt bereits physiognomisch nicht. Es ist aber auch aus mehreren anderen Gründen an Heyse nicht zu denken. Der erste: Medaillons dieser Art wurden von»Klassikern« in Um­lauf gebracht, nicht von erst halb berühmten Zeitgenossen. Der zweite: Wenn wirklich von Heyse ein solches Porträt angefertigt worden wäre, hät­te Fontane es nicht gekauft, und wenn er es geschenkt bekommen hätte, nicht so demonstrativ aufgehängt. Und der dritte: In dem umfangreichen Briefwechsel Fontanes mit Paul Heyse fällt über ein solches Medaillon kein