Heft 
(2017) 103
Seite
13
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Fontanes Exzerpte aus Schopenhauer  Delf von Wolzogen 13 Lektüre davon ausgegangen werden, dass Fontane mehr gelesen hat als die Werke, aus denen exzerpiert wurde. Zu erinnern wäre an die im Entwurf eines Briefes an Carl Ferdinand Wiesike in Aussicht genommene Lektüre von Die Welt als Wille und Vorstellung. 21 Dennoch bleibt unwahrscheinlich, dass Fontane die Parerga systematisch und linear gelesen hat, was im Üb­rigen auch nicht Schopenhauers Veröffentlichungsstrategie entsprochen hätte, der sein Werk als»bei Weitem das populärste« konzipiert und neben einer Reihe von geschlossenen Abhandlungen zu Fragen der Philosophie und Philosophiegeschichte auch Aphorismen zur Lebensweisheit(sämtlich im ersten Band) und eben Parerga und Paralipomena(d.h. Beiwerke und Nachträge) aus seiner lebenslangen Aufzeichnungspraxis zusammengestellt hatte. 22 Kursorisch wird Fontane hineingeschaut haben in die Skitze einer Geschichte der Lehre vom Idealen und Realen, die den Begriff des Realen in Form einer historischen ebatte diverser Philosophen abhandelt, oder in die Fragmente zur Geschichte der Philosophie, die ausgewählte Positionen der Philosophiegeschichte nach Maßgabe des eigenen Werkes vorträgt, oder in die berühmt-berüchtigte Abhandlung Ueber die Universitätsphilosophie, in der nicht nur die»Hegelei« geschurigelt, sondern auch das Ideal eines auto­nomen, von staatlicher Einflussnahme(sprich: eines nicht-beamteten) freien Philosophierens vertreten wird; eine Position, der Fontane im Hinblick auf Erziehungsfragen(vgl. hier, 41 ff.) gewiss hätte folgen können. Nicht nur im Versuch über das Geistersehn und was damit zusammenhängt, den Fontane ausführlich exzerpiert und annotiert hat, sondern auch in der Transszen­denten Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen kommen Phänomene wie prophetische Träume und Hellsehen zur Sprache. Während in ersterem empirisch und physiologisch argumentiert wird, entwickelt Schopenhauer in letzterem einen Begriff des»transzenden­ten Fatalismus« als»metaphysische Phantasie« mit der Absicht, den objek­tiv wirkenden Willen auch an Phänomen des subjektiven Erlebens zu zeigen (welche wie der Traum oder das Schicksal nicht der individuellen Willkür gehorchen) und ihn, an diesen Grenzerfahrungen des subjektiven Bewusst­seins, als Lehrmeister der Vergänglichkeit auszuweisen; d.h. einen Glücksbe­griff im Wissen um den Tod zu entwickeln. 23 Auf Fontanes ­Affinität zu diesem Fragenkomplex(Freiheit und Notwendigkeit/Fatalität) wurde immer wieder hingewiesen, im Hinblick auf das Roman-Fragment Allerlei Glück zuerst von Arthur Hübscher und Walter Müller-Seidel. 24 Eine mögliche Lektüre dieser Kapitel wäre mithin nicht ausgeschlossen. Ein Blick in den 2. Band der Parer­ga, der seinem Verfasser zufolge»Vereinzelte, jedoch systematisch geordnete Gedanken über vielerlei Gegenstände« enthält, zeigt, dass Fontane diesen der Textsorte durchaus angemessen mit der Willkür und vermutlich auch der Lust des»brutal reading« durchmaß. 25