Noch ein Nordlicht in München Beck 91 3. Alternative Gattungsgeschichte: Fontane-Balladen als poetische Triaspolitik Soweit die Rekonstruktion des kulturpolitischen Hintergrunds, dem sich der Münchner Archibald Douglas wohl verdankt. Dieser Hintergrund dürfte auch erklären, weswegen Fontane auf jenen Druck(an dem er entweder beteiligt war bzw. von dem er doch wohl wußte, wenigstens sehe ich keinen Grund, weswegen Heyse ihn verschwiegen haben sollte) später keinen Wert legte; Fontane versuchte ja nachmals, seine monacensischen Ambitionen, obwohl sie ihm»im Zentrum des Nord-Süd-Diskurses[…] eine Lebensentscheidung« abverlangten,»ins Episodische herunterzuspielen«. 51 Weswegen hätte Fontane auch die offiziöse, wenn nicht gar offizielle zweite Erstpublikation seiner gefeierten Meisterballade, die ja das Hohelied der Heimatliebe intoniert, als den Hebel outen sollen, der bestimmt war, ihn, den Schriftsteller mit dem Image des»eingefleischten Märker[s]«, 52 aus dem gelobten»Adlerland« 53 zu den königlichen Fleischtöpfen Bayerns zu befördern? Das nämlich dürfte die gattungsgeschichtlich erhellende Absicht Heysesbei der Einspeisung des Archibald Douglas in die Neue Münchener Zeitung gewesen sein. Diese Veröffentlichung war Teil des von Roland Berbig mit gebührendem Nachdruck benannten Vorhabens,»Fontane[…] in die Reihe der Berufenen[zu] lancier[en]«; er»sollte ein ›Nordlicht‹ werden«, und hierbei ging es»ganz offensichtlich nicht einfach um eine Anstellung, es ging um das Beziehen einer Frontstellung«, es wurde»sein möglicher Platz im Münchner norddeutschen Lager erwogen«. 54 Solche Strategie bedeutete allerdings nicht, daß es ein bloß»vordergründig[es]« Manöver war, wenn man»den preußischen Balladendichter das Umsatteln auf bayerische Geschichte zu erwägen bat«; 55 vielmehr zeugt das Gewicht, das dem Archibald Douglas als einer mustergültigen historischen Ballade bei dem Versuch zukam, Fontane in München zu versorgen, davon, wie sehr ein Balladendichter Mitte des 19. Jahrhunderts eine(kultur)politisch relevante Erscheinung war. Die wittelsbachischen Sujets nämlich, für deren qualifizierte balladeske Behandlung durch Fontane der Archibald Douglas bürgen sollte, sprechen für sich: Heyse bat seinen Freund, sich womöglich für»Ludwig den Bayern oder die Sendlinger Schlacht« zu erwärmen. 56 Eine keineswegs unschuldige Themenwahl, die sensibel auf die Belange der ›Nordlichter‹ sowie die Interessen des Königs abgestimmt war: Ludwig der Bayer, der erste römisch-deutsche Kaiser aus dem Haus Wittelsbach, bot die Chance, erfolgreiche bayerische Machtpolitik gegenüber Habsburg-Österreich zu schildern 57 – eine Machtpolitik, die als eine, mit der sich Ludwig auch gegen den Papst behauptet hatte, gerade nicht ultramontan angelegt war. 58 Und die Sendlinger Schlacht? In der Nacht zum 25. Dezember 1705 hatten kaiserliche Truppen aufständische Bauern und Handwerker(Bayern stand im
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(2017) 103
Seite
91
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