Heft 
(2017) 103
Seite
109
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Ein kreativer Apparat McGillen 109 ganzen Textgenres(»Zeitungen 1812/13«), einschließlich Kalendern, statis­tischer Quellen wie Armee- und Quartierlisten, Lokalsagen, Biographien und Gedichten. Sogar eine offene Frage(»Welche französischen Regimen­ter in Küstrin etc.«) und ein Thema(»Wendische Alterthümer«) firmieren hier als»Bücher« und erhalten denselben Status wie beispielsweise die dä­nischen Volksballaden von Wilhelm Grimm. Die Namensliste auf der be­nachbarten Seite(51v) erhöht die Vielzahl der aufgelisteten Quellen weiter, indem sie Ansprechpartner mit sehr individuellen Arten von Expertise hinzufügt. Um bloß zwei Beispiele zu nennen:»Oberlehrer[Friedrich ­Wilhelm] Holtze«, ein Lehrer an der Potsdamer und später der Berliner Kadettenschule, kannte sich gut mit Lokal- und Militärgeschichte aus, wo­hingegen der Professor[Friedrich] Eggers kunstgeschichtliches Fachwis­sen beisteuern konnte. 29 Die Zeitungsausschnitte auf 52v schließlich ergän­zen das Spektrum vertretener Genres um ein Element von Kolportage. In drastischen Details schildert der Zeitungstext diverse Formen von Aber­glauben, die so eine Passage aus dem kürzeren der beiden Ausschnitte »auch in der Mark[Brandenburg] gang und gäbe« waren, wie zum Beispiel »das Malträtiren der Ferkel[], um aus dem Quiken dieser[] unverdäch­tigen Thierchen die Zukunft zu erspähen«. Die Zeitungsausschnitte stehen damit in bemerkenswertem Kontrast zu Quellen aus der Hochkultur wie Voltaire oder Fichte auf der Liste der»Bücher«. Die Inklusivität der Biblio­thek machte all diese Quellen jedoch gleich, verfrachtete sie unter dieselbe Überschrift und bereitete sie auf ungehinderte Rekombination in den wei­teren Arbeitsschritten des Autors vor. Wie das Beispiel zeigt, wurde auf diese Weise das Verständnis von Textualität radikalisiert, mit dem die Bib­liothek und ihr Benutzer operierten. Standardmäßig traten hier Texte nicht nur zusammen mit anderen Texten auf, sondern ließen sich ganz grund­sätzlich durchmischen und neu miteinander verbinden. Die Notationsformen, mit denen Fontane die Bibliothek verwaltete, sorgten dafür, dass restriktive Klassifikationen sich darin niemals etablie­ren würden. Entweder führte der Autor Quellen im Format offener Listen in den Notizbüchern auf(wie im obigen Beispiel), oder er fügte in den Ta­gebüchern der laufenden Chronologie seines Alltags und Terminkalenders Schlüsselwörter und logistische Hinweise hinzu. Beide Formate erschwer­ten den umfassenden Überblick, ließen sich dafür aber sehr einfach erwei­tern; selbst das Zeitungsblatt, in das Bücherlieferungen gewickelt waren, der»Einwickelbogen«, konnte so in diese Bibliothek eingehen. 30 Gerade durch das Fehlen von Organisationsprinzipien war Fontanes Bibliothek also nicht nur zu ungehindertem Wachstum fähig, sondern auch systema­tisch für Zufallsfunde offen. Diese Eigenschaft stabilisierte den Langzeitwert der Bibliothek als Hilfsmittel des Fontaneschen Schreibens. Der Autor selbst veranschau­lichte dementsprechend die epistemologische Leistung des expansiven