Heft 
(2017) 103
Seite
117
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Ein kreativer Apparat McGillen 117 Lesers­Fontane ist daher die Frage des Wie der Lektüre viel entscheidender als die des Was. Angesichts eines lesenden»Allesfressers«, der sich ganz bewusst einem Zuviel aussetzte und für den radikale Intertextualität die selbstverständliche Ausgangslage darstellte, ist der Erkenntnisgewinn von Studien begrenzt, die sich auf den Einfluss einzelner Autoren oder Quellen konzentrieren. Die aufschlussreichere Frage wäre daher, welche Schreibverfahren sich an Fontanes virtuose Lektüre-Modi anschließen. Percursio bildet hierbei nur den Anfang; eine erweiterte Perspektive, die nicht nur Fonta­nes Bibliothek, sondern auch die Medien und Werkzeuge seines Schrei­bens einbezieht, hat das Potenzial, weitere produktive Verfahren sichtbar zu machen. 75 Die hier vorgelegte Rekonstruktion des Fontaneschen Biblio­theksnetzes ist also nur der erste Schritt innerhalb eines größeren Ansat­zes, der darauf angelegt ist, Fontanes literarische Texte»vom Maschinen­raum« aus zu lesen und herauszuarbeiten, wie aus der Kompilation verschiedenster Materialien letztlich die glatten Textoberflächen werden, für die Fontanes Novellen und Romane berühmt sind. In seinem Fall ist die Differenz zwischen heterogener Textunterseite und stilistischer Glätte des veröffentlichten literarischen Produkts besonders ausgeprägt. Beobach­tungen aus dem Maschinenraum versprechen daher Erkenntnisse darü­ber, auf welche Weise die Ausgangsmaterialien eines Schriftstellers(oder einer Schriftstellerin)»literarisch« werden können. Fontane in den Ma­schinenraum der Textproduktion zu folgen, eröffnet schlussendlich auch Möglichkeiten, das gespannte Verhältnis von(Material-)Überfluss und Kreativität neu zu beschreiben. Die gängige Rede von der Informations­überflutung suggeriert, dass ein Zuviel an Information kreative Aktivitä­ten erstickt. Im Gegensatz dazu zeigt die Mediengeschichte der Fontane­schen Lektürepraxis, dass die Überverfügbarkeit von Material für einen virtuosen Leser nicht das Ende der Kreativität bedeuten muss, sondern ihren Anfang.