Ein kreativer Apparat McGillen 117 LesersFontane ist daher die Frage des Wie der Lektüre viel entscheidender als die des Was. Angesichts eines lesenden»Allesfressers«, der sich ganz bewusst einem Zuviel aussetzte und für den radikale Intertextualität die selbstverständliche Ausgangslage darstellte, ist der Erkenntnisgewinn von Studien begrenzt, die sich auf den Einfluss einzelner Autoren oder Quellen konzentrieren. Die aufschlussreichere Frage wäre daher, welche Schreibverfahren sich an Fontanes virtuose Lektüre-Modi anschließen. Percursio bildet hierbei nur den Anfang; eine erweiterte Perspektive, die nicht nur Fontanes Bibliothek, sondern auch die Medien und Werkzeuge seines Schreibens einbezieht, hat das Potenzial, weitere produktive Verfahren sichtbar zu machen. 75 Die hier vorgelegte Rekonstruktion des Fontaneschen Bibliotheksnetzes ist also nur der erste Schritt innerhalb eines größeren Ansatzes, der darauf angelegt ist, Fontanes literarische Texte»vom Maschinenraum« aus zu lesen und herauszuarbeiten, wie aus der Kompilation verschiedenster Materialien letztlich die glatten Textoberflächen werden, für die Fontanes Novellen und Romane berühmt sind. In seinem Fall ist die Differenz zwischen heterogener Textunterseite und stilistischer Glätte des veröffentlichten literarischen Produkts besonders ausgeprägt. Beobachtungen aus dem Maschinenraum versprechen daher Erkenntnisse darüber, auf welche Weise die Ausgangsmaterialien eines Schriftstellers(oder einer Schriftstellerin)»literarisch« werden können. Fontane in den Maschinenraum der Textproduktion zu folgen, eröffnet schlussendlich auch Möglichkeiten, das gespannte Verhältnis von(Material-)Überfluss und Kreativität neu zu beschreiben. Die gängige Rede von der Informationsüberflutung suggeriert, dass ein Zuviel an Information kreative Aktivitäten erstickt. Im Gegensatz dazu zeigt die Mediengeschichte der Fontaneschen Lektürepraxis, dass die Überverfügbarkeit von Material für einen virtuosen Leser nicht das Ende der Kreativität bedeuten muss, sondern ihren Anfang.
Heft
(2017) 103
Seite
117
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten