Heft 
(2017) 103
Seite
127
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Theodor Fontane. Fragmente Erler 127 und belegt, daß Fontane sein Leben lang der Neigung nachgegeben hat, alles, was später einmal verwertbar sein könnte, aufzuschreiben und aufzubewahren. Bei der Anordnung der über 130 Texte sind die Herausgeberinnen pragmatisch vorgegangen, haben die Erzählfragmente eingeteilt in historische Erzählungen, Familien- und Gesellschaftsromane sowie Ehe- und Liebesgeschichten(wobei die Grenzen fließend sind). Dann folgen Charakterstudien für Frauen und für Männer, die noch um weitere»Materialien und Projekte« und»Figuren, Situationen, Dialoge, Textbruchstücke« ergänzt werden. Dieser Vielzahl der Kategorien ist eine durchaus verständliche Verlegenheit anzumerken, und die Zuordnungen sind nicht immer schlüssig. Auch eine andere Besonderheit der Sammlung verwundert ein wenig; es wurden nämlich fragmentarische Essays und Impressionen außerhalb des narrativen Bereichs aufgenommen. Das sind sämtlich wichtige, be­kennt­nisintensive Texte, die meist mit Berlin, mit Juden und Adel und der preußischen Gesellschaft zu tun haben und durchweg, zum Teil mehrfach, längst publiziert worden sind. Streng genommen und unter Genre-As­pek­ten gehören sie gar nicht in den Erzählkontext, ergänzen aber das inhalt­liche Panorama der Ausgabe und machen deutlich, daß das weite Feld von »Fragmentarischem« ohnehin auch andere Werkgruppen Fontanes in rei­chem Maße betrifft. Und unter»Fragmenten« läßt sich ja recht Unter­schiedliches verstehen: das Unfertige, das zufällig Liegengebliebene, das nur Angedachte oder auch das als»offene Form« bewußt als Fragment Hinterlassene. Das Fontane-Archiv hat dankenswerterweise im Oktober 2016 eine anregende internationale Konferenz über solche»offenen For­men« veranstaltet. Mit freudiger Genugtuung werden kundige Leser bemerken, daß die beiden Fragmente-Bände»in memoriam Renate Böschenstein, geb. Schäfer« erschienen sind. Denn dieser zu früh gestorbenen Schweizer Kollegin verdankt die Fontanistik gerade beim Unvollendeten Fontanes sehr viel; ich erinnere unter anderem an die Melusinen-Thematik. Renate Böschenstein, die kluge, liebenswürdige Forscherin, hätte ihre Freude an der vorliegenden Fragmente-Edition, denn sie ist aus der Werkstatt zweier Kenner und Könner hervorgegangen. Die Texte sind zuverlässig wiedergegeben in der Mehrzahl auf die Handschriften gestützt, und sie werden buchstaben- und zeichengetreu abgebildet, selbstverständlich zu­sammen mit den vom Autor gesammelten Zeitungsausschnitten. Diese Art der Dokumentation vermittelt einen besonders authentischen Eindruck vom Entstehungsprozeß dieser Notizen, und man liest auch die schon bekannten Texte mit neuem Blick, kann sich den Dichter beim Schreiben und beim Aufkleben vorstellen und hat sein Vergnügen an den Schreib- und Gestaltungshinweisen, die, wie die Sofortkorrekturen, häufig dazugehören. (Beispiel: Arnulf v. Trachenberg; Fontane notiert:»noch ein romantischer