Heft 
(2017) 103
Seite
129
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Theodor Fontane. Fragmente Erler 129 Bemühungen um Fontane. Wie immer dem sei: die beiden Bände sind eine hervorragende editorische Leistung, ein neuer Meilenstein in der Erschlie­ßung des Autors und ein bemerkenswerter Zwischenruf des Potsdamer Archivs. Übrigens ist der Verlagswechsel schon äußerlich zu bemerken: das vertraute, anheimelnde»Fontane-Grün« der GBA mit den illustrativen Anleihen bei der europäischen Malerei des 19. Jahrhunderts ist durch ein angenehmes, aber sachliches Rot ersetzt und könnte, wenn man es denn wollte, auf die erstaunlich zahlreichen politischen Implikationen der Texte deuten. Fritz Landshoff hat in seiner Dissertation von 1926 bereits festgestellt, daß Fontanes Erzählmotive und das soziale Umfeld seiner Epik ziemlich beschränkt, aber jeweils auch fein ziseliert seien. Das gilt auch für die Fragmente, in denen die Fontaneschen Stereotype dominieren: das wirklich Große geht meist aus dem Kleinen hervor( Melusine von Cadoudal); er bekennt sich zu der Dialektik von Gehorsam und Auflehnung ( Die preußische Idee); bei aller konservativen Grundhaltung vertraut er auf die»geistigen Mächte, die sich polizeilich nicht regulieren und unterdrücken lassen«( Die Bekehrten). Und immer wieder taucht als eine dieser»Mächte« die Sozialdemokratie auf, ist von den»Maigesetzen« und dem»Socialistengesetz« die Rede, ja in der politischen Biographie des Protagonisten Adolf Schulze erscheint die Sozialdemokratie als die modernste Ausprägung dieser preußischen Idee. All solche Stellen scheinen Fontanes gelegentliche Bemerkung zu stützen, er argumentiere so, als sei er ein»eingeschworener Sozialdemokrat«. Am aufschlußreichsten umkreist der Likedeeler-Entwurf dieses The­ma. Fontane hatte schon als Zehnjähriger mit Vorliebe in der Störte­bekers Kul bei Heringsdorf den berühmt-berüchtigten Seeräuber gespielt und sich mit der vermeintlichen Nothelfer-Figur identifiziert, die die Schiffe der reichen hanseatischen Handelsherren plünderte und die Beute gerecht unter den Armen verteilte(so wollte es die volkstümliche Überlieferung; der historische Störtebeker war dagegen wohl in erster Linie ein skrupelloser Seeräuber). Bezeichnenderweise knüpft Fontane gerade an diese Tradition an, und sein Interesse als Erzähler gilt vor allem der»Likedeeler«-Erscheinung, dem utopischen Versuch, mit Hilfe von »Gleichteilung« Gerechtigkeit in der Welt zu etablieren. In Briefen an Freunde und Materialbeschaffer finden sich erstaunliche Absichtserklärungen.»Der Stoff in seiner alten mittelalterlichen Seer­o­mantik und seiner sozialdemokratischen Modernität alles schon da­gewesen reizt mich ganz ungeheuer«, schreibt er am 16. März 1895 an Friedrich Holtze, und am gleichen Tag kündigt er auch dem Verleger Hans Hertz diesen»famosen Roman« an:»Er heißt ›Die Likedeeler‹(Likedealer, Gleichteiler, damalige denn es spielt Anno 1400 Kommunisten), eine