Heft 
(2017) 103
Seite
130
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130 Fontane Blätter 103 Rezensionen und Annotationen Gruppe von an Karl Moor und die Seinen erinnernden Seeräubern... Alles steht mir fest, nur eine Kleinigkeit fehlt noch: das Wissen.« Der Plan wurde fast zwei Jahrzehnte verfolgt, jedoch nicht ausgeführt. Thomas Mann meinte, es sei ein Plan des Ehrgeizes gewesen und als solcher erkannt und aufgegeben worden; der alte Dubslav von Stechlin trat an die Stelle Störtebekers. Dennoch sind die sozialrevolutionären Ansätze in den Likedeeler-Papieren äußerst interessant für die Gedankenwelt des alten Fontane, und über die drei Zeilen, die wie ein Menetekel mittendrin stehen, läßt sich gut nachdenken. Es heißt(Band I, S. 49) über die geplante »Schlußscenerie«: Das Gespenst, das in Marienhafe umgeht. Das ist Klaus Störtebeker, der in Marienhafe umgeht. Aber durch die Welt geht das Gespenst der Likedeeler. Nun muß man nicht unbedingt davon ausgehen, daß der junge revolutionär orientierte Fontane das Kommunistische Manifest in der Hand gehabt hat und ihm nach so vielen Jahrzehnten im Zusammenhang mit dem Likedeeler-Projekt jener berühmte Satz wieder ins Gedächtnis gekommen sei:»Ein Gespenst geht um in Europa das Gespenst des Kommunismus«; die Wendung war in der europäischen Arbeiterbewegung weit verbreitet, und er kann sie irgendwo aufgeschnappt haben. Wobei die»Likedeeler« als frühneuzeitliche»Kommunisten« natürlich in einem trivial-soziologischen Sinne verstanden werden. Immerhin: in der Bildergalerie, die sich, wenig später, der alte Dubslav von Stechlin vom künftigen Wohnzimmer seines Sohns vorstellt, hängt auch ein Porträt von Karl Marx! Und schließlich: in dem Roman sollte sogar erzählt werden, daß man den Hamburger Scharfrichter Rosenfeld, als er die 99 Likedeeler geköpft hatte, fragte, ob er müde sei. Und der, bis zu den Knöcheln im Blut stehend, antwortete: nein, er könne jetzt auch noch den ganzen Senat der Stadt hinrichten was ihm freilich selber den Kopf kostete. So viel politisch-historische Brisanz ist in den meisten anderen Texten natürlich nicht verborgen. Doch anregend, zum Teil köstlich humorvoll und oft autobiographisch bekenntnisreich sind sie meist ungedruckt fast immer. Der Bogen spannt sich von kleinen Späßen(Priester:»Sagen Sie, Ungläubiger, was hat Sie hergebracht?«»A Schandarm, Hochwürden.«) über ausgereifte Aphorismen(»Der einzige wahre Luxus des Lebens ist die Freiheit.«) über das ironische Selbstbekenntnis Mein Kirchenjahr bis zu umfangreicheren Skizzen, die schon Figuren, erzählerische Struktur, ja Dialoge aufweisen. Und darunter befindet sich eine köstliche Trouvaille, zu der ich den Editoren gratuliere: Auf dem Flachdach oder Mir gegenüber. Es ist der einzige mir bekannte Text, in dem Fontane den Blick aus dem Fenster