Heft 
(2017) 103
Seite
132
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132 Fontane Blätter 103 Rezensionen und Annotationen Statement gegen die herrschende ›schwarze Pädagogik‹ handle und nicht, wie vielfach behauptet werde, um eine rückwärtsgewandte»Beschwörung einer idealisierten Vergangenheit«. Die Beiträge zum»Romancier« bestätigen einerseits die von Maria Brosig(229) erwähnte ›Hitparade‹ der Fontane-Forschung(Platz 1 der meistinterpretierten Werke: Effi Briest, gefolgt von Der Stechlin, auf Platz 3: Irrungen, Wirrungen). Doch es kommen auch seltener analysierte Romane wie Quitt(1890) zur Sprache: James N. Bade bewertet diesen Roman als die»kühnste Kritik Fontanes am Kaiserreich der 1880er Jahre« und als seinen»politischsten Roman«, denn in Quitt stelle Fontane»eine tolerante, egalitäre und pazifistische Mennoniten-Siedlung als funktionierende Alternative zum bornierten, militaristischen und hierarchischen Preußen« dar, die in der Fontane-Forschung wenig Beachtung gefunden habe. Das von J. N. Bade konstatierte Desinteresse gegenüber dem in Amerika spielenden zweiten Teil des Romans liege u.a. an mangelhaften Kenntnissen der Kulturgeschichte der in die Vereinigten Staaten emigrierten Menno­niten. J. N. Bade rekonstruiert die dem Roman eingeschriebenen kultur­geschichtlichen Kontexte en détail und illustriert seine Entdeckungen mit ausdrucksstarken Abbildungen. Erkennbar wird dabei, wie umfassend Fontane für Quitt recherchierte. Bades Fazit: Dank der anschaulichen Darstellung der Mennoniten-Gemeinde in Darlington sei dieser Roman »von überzeugender Authentizität« und heute so aktuell wie in den 1880er Jahren. Madleen Podewski fragt nach der Relevanz der Romantik für das Kon­zept des Realismus und analysiert die literarhistorisch angeblich so un­ver­rückbar festgeschriebene Abgrenzung der beiden Epochen und die mit ihr einhergehenden Schreibweisen. Ausgehend von der ästhe­ti­schen Moderne erörtert sie u. a. die Möglichkeiten des Realismus, sich zur Romantik zu positionieren und zu entscheiden, welche roman­tischen Er­run­gen­schaften unverzichtbar seien: Selbstreflexivität, Subjekt­zen­triert­heit, Antisystematik. Fontane setze sich in Vor dem Sturm kritisch mit der Romantik auseinander und gehe gewissermaßen auf Distanz, in­dem er das ›Romantisieren‹ den randständigen Figuren überlasse und die realitätstauglichen Protagonisten mit einer Glück versprechenden Zukunftsperspektive ausstatte, ohne dabei auf das Romantisch-Poetische der Hauptfiguren völlig zu verzichten. Barbara Naumann liest Die Poggenpuhls, denen sie adelsstolzes Ver­har­ren in einem auf Dauer gestellten»Erschöpfungszustand« attestiert, im Horizont der Dekadenz-Literatur. Doch im Unterschied zur westeuro­päischen Fin-de-Siècle-Literatur finde sich bei den auf Gewesenes fixierten, finanziell ruinierten Poggenpuhls keine Spur von Lust am Untergang, von dekadenter Erotik ganz zu schweigen:»Fontanes Dekadenzdarstellung zielt darauf, den Eros nicht im Untergang, sondern im Gespräch festzuhalten.«