Heft 
(2017) 103
Seite
137
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Helmuth Nürnberger:»Auf der Treppe von Sanssouci« Ester 137 Dimension der märkischen Region fällt der sprachliche Reichtum auf. Ein markantes Stilmerkmal ist die Variation der verwendeten Begriffe. Der Le­ser erlebt aus nächster Nähe die Suche nach dem richtigen Wort. Das ­Schreiben über die ›retardierenden Momente‹ bei Fontane charakterisiert ebenso Nürnbergers eigenen Stil:»Ein höherer Grad von Bewußtsein scheint erreicht, die Kunst denkt über sich selber nach, sie wird sich selbst zum Gegenstand[]«(S. 76). Ohne die Parallele zu strapazieren, ist zu be­obachten, daß die Reihung nüancierender Ausdrücke die Beteiligung des Lesers intensiviert. Der Leser kann sich auch geschmeichelt fühlen, da er das Verfahren erkannt hat und nunmehr mitdenken darf. Nachdem Helmuth Nürnberger sich 1967 in seinem Buch Der frühe Fontane besonders mit dem Publizisten Fontane beschäftigte, galt sein In­teresse mehr und mehr dem mittleren Fontane aus der Zeit nach dem Lon­doner Aufenthalt, aus dessen Entwicklung das Romanwerk hervorging. Die Bedeutung der Übergangsphase, für die England eine bedeutsame Rolle spielte, macht Nürnberger skeptisch gegenüber Verabsolutierungen, die über ihrer Entdeckung des ›eigentlichen‹ Fontane den Entwicklungs­prozeß des Dichters unterschlagen. Er bewundert Thomas Mann und sei­nen wirkungsgeschichtlich eminent wichtigen Essay Der alte Fontane, aber er spart nicht mit Kritik an Manns Einseitigkeit. Nürnberger offenbart die Größe des Briefschreibers, Dichters und Ro­manautors Fontane wie niemand sonst, aber er hebt Fontane nicht in den Himmel. Daher die mit Humor formulierte, nichtsdestoweniger grundsätz­liche Kritik an der ›Zungenfertigkeit‹ von Walter Jens in dessen Buch Wer am besten redet, ist der reinste Mensch(S. 261). Bereits an der subtilen Änderung des Zitats aus dem Stechlin, das Jens zum Ausgangspunkt sei­nes grenzenlosen Lobes nimmt, demonstriert Nürnberger seinen schar­fen, analysierenden Blick. Aber er gibt Jens nicht dem Gelächter preis, son­dern hebt auch seine Qualitäten hervor, sei es mit einem milden Lächeln. Helmuth Nürnberger verfügt über das Vermögen, Selbstverständlich­keiten auf ihre Wahrheit zu befragen. Das gilt sehr deutlich für das Be­griffspaar Provinz/Welt, mit dem Fontane den Unterschied zwischen Theodor Storm(Husumer Deich) und sich(London Bridge) deutlich zu ma­chen versuchte. Nürnberger untersucht die Tragweite dieses(Storm) her­absetzenden Vergleichs, relativiert ihn, kommt aber in zweiter Instanz zu der Schlußfolgerung, daß bei Fontane im Provinziellen die Offenheit zur Welt präsent sei. Fachjargon wirkt exklusiv. Helmuth Nürnberger scheut sich nicht, die Sprache über Literatur und Geschichte, die der Komplexität der Sache ­gerecht werden soll, ohne Reserve zu verwenden. Er benutzt diese Spra­che aber so, daß sie den interessierten Leser nicht abschüttelt. Einerseits ist dafür sein Variieren, sein leichtes Abwandeln der Ausdrücke ver­antwortlich, andererseits sein offensichtliches Vergnügen, einen Vortrag