Theodor und George Fontane Streiter-Buscher 143 Kriegsakademie, Sprungbrett für jede Militärkarriere, zu den väterlichen Hoffnungen gehörte. Die sollten sich jedoch nie erfüllen. George ist den Eltern ein besonders nahestehender Sohn – ihr»Liebling«, soweit diese Vorzugsstellung aus dem Ehebriefwechsel erkennbar ist, und zugleich, darin Georges literarischem Alter Ego Leo von Poggenpuhl nicht unähnlich, ihr»Angstkind«, 8 mit dessen Entwicklung sie am meisten gehadert, dessen Selbstbezogenheit und»ungeregelte Finanzwirthschaft« 9 ihnen am meisten Kummer gemacht und dessen Kommen und Nähe über ein Jahrzehnt vor allem vom Dichtervater als Belastung seiner Ruhe und Produktivität empfunden worden ist. George selbst scheint davon nichts geahnt zu haben. So schreibt der 28jährige in den ersten Julitagen 1879 an Ludovica:»Ich freue mich sehr auf die Ferien, besonders meine Nerven werden aufjauchzen. Ich gehe nach Wernigerode zu meinen Eltern, um ganz ruhig zu leben. Ruhe! Ein herrliches Wort.« 10 Wenige Tage zuvor hatte Fontane seiner Frau geschrieben: »Ich freue mich auf die Wernigeroder Tage, aber offen gestanden ich fürchte mich auch davor. Es wird wie ein Taubenschlag sein; und das soll dann die Ruhe sein, auf die ich 11 Monate gewartet habe![...] Natürlich muß George nach Hause kommen dürfen, das ist sein gutes Recht, das er nicht verwirkt hat[…]. Er muß das elterliche Haus offen finden und Arme von Mutter und Geschwistern, die ihn empfangen. Ich aber werde zukünftig nach 3 mal 24 Stunden verschwinden und in irgend einem Thal der Ruhe nachgehen, deren ich bedarf und die jeder mir gönnen muß.« 11 Georges Briefe spiegeln den Familienton der Fontanes wieder, altersgemäß unbekümmert, persönlich liebenswürdig, untermischt mit kleinen Spöttereien und Berolinismen wie»darum keine Feindschaft nich«. 12 Sie offenbaren ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Schreiber und Empfängerin, erkennbar nicht nur an Georges Unterschriften wie»Dein Pflegebruder«,»Dein alter Freund«,»Dein alter Junge«, sondern auch an intimen Bekenntnissen wie in einem Brief aus Magdeburg 1869:»Es ist furchtbar langweilig in diesem traurigen Nest. Das billige Théâtre des variétés kann mich nicht mehr reizen da das eine Fräulein, die mich hauptsächlich hinzog ein Engagement nach Braunschweig erhalten hat.(Diese Episode brauchst Du übrigens nicht weiter zu erzählen es bleibt Geheimniß zwischen uns beiden, wie vieles andre)«. 13 Oder vierzehn Jahre später am Ende eines Briefes aus der Kadettenvoranstalt Wahlstatt in Schlesien: »[…] die Nerven befinden sich denn allerdings jetzt in einer traurigen Verfassung. Dies hat meine Thätigkeit hier, aber zum größten Teil hat es mit seinem Singen Richard Wagner gethan. Ich bin jetzt wieder dermaßen verwagnert, daß es mir einfach unmöglich ist etwas andres zu spielen[…]. Er übt nur auf mich eine solche überwältigende, sich immer steigernde Wirkung aus, die zwar wunderschön ist, die aber – das fühl ich – auch im höchsten Grade schädlich wirkt. Mit mir zusammen schwelgt die Frau des
Heft
(2017) 103
Seite
143
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