Theodor und George Fontane Streiter-Buscher 147 Doch die nach dem ersten halben Jahr fällige Ernennung zum Fähnrich bleibt aus. In dieser Situation vertraut George seiner Briefpartnerin tief deprimiert an:»Mir geht es hier jetzt recht schlecht[…]. Gegen Dich will ich nicht lange Worte machen[.] Mir wäre besser ich wäre nicht geboren, denn eine so gänzliche Untauglichkeit zu etwas Gutem und Ordentlichen liegt in mir, daß ich mit Furcht und Grauen in die Zukunft sehe.« 31 Die Zerstörung seiner Hoffnungen stürzt ihn in tiefe Verzweiflung. Das Unvollkommene der eigenen Existenz in dieser Welt des Pflicht- und Untertanenbewusstseins scheint ihm jedes Selbstvertrauen genommen zu haben. Er zieht sich auf einen nur ihm gehörenden Bereich zurück, auf den der Musik. Von Opern- und Konzertbesuchen ist die Rede. Mozarts Figaros Hochzeit ist dem Siebzehnjährigen»die schönste« Oper, die er kennt. 32 Kurz darauf ist es Meyerbeers Erfolgsoper Die Hugenotten, die ihn»so gewaltig« anzieht. 33 Auch das eigene Klavierspiel hilft ihm, sich zu finden.»Ich spiele sehr fleißig Klavier und hoffe wenn ich im Sommer nach meinem alten Berlin komme Dir Verschiedenes vorspielen zu können«, verspricht er der Freundin. 34 Dem Vater ist gerade in diesen ersten Ausbildungsmonaten Georges Briefschreibetalent aufgefallen. Mit»alles frisch, knapp, humoristisch, völlig ungesucht« 35 bringt er seine ›Überraschung‹ über die»bemerkenswerthe literarische Begabung« seines Ältesten zu Papier. 36 Und er meint sogar, in Georges Stil seinen eigenen wiederzuerkennen, und bekennt freimütig, dass George ihm,»nach der humoristischen Seite hin, weit voraus« sei und »das Maßhalten«, das er sich»erst mühevoll erobert habe«,»von Natur« aus habe. 37 Ja, solche Erkenntnis hätte doch, so möchte man denken, spätestens dann ein Umdenken des Vaters bewirken können, als George als soldatisch ungeeignet aus dem Kasseler Regiment entlassen wird. Zu Georges Ausscheiden aus dem Militär kommt es jedoch nicht. Der Vater strebt stattdessen einen Garnisons- und Regiments-Wechsel an. Das ist kein einfaches Unterfangen. Und doch setzt er alles daran, seinem Sohn die Fortsetzung der Militärausbildung zu ermöglichen. Dies erhellt aus einigen Fragmenten von Fontanes Hand auf der Rückseite anderer Texte im Bestand des Theodor-Fontane-Archivs. Diese Bruchstücke von Briefentwürfen lassen die Not eines um die richtige Wortwahl ringenden Vaters erkennen, der in jenen Tagen des»Nicht aus- noch ein-wissen[s]«, 38 wie dort zu lesen ist, sich an verschiedene, nicht in allen Fällen eindeutig zu identifizierende Personen beim Militär wendet. Von berufener Seite versucht er zur eigenen Entscheidungsfindung in Erfahrung zu bringen, ob»aus dem Jungen sich noch jemals ein ordentlicher brauchbarer Soldat« 39 entwickeln könne und ob er in einem anderen Regiment oder»auf einem andren Boden« eine»ehrliche Chance« habe,»besser zu gedeihen«. 40 Eindeutig geben die Fragmente zu erkennen, dass er seine»eigne schließliche Entscheidung« 41 vom Ergebnis
Heft
(2017) 103
Seite
147
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