Heft 
(2017) 103
Seite
156
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156 Fontane Blätter 103 Vermischtes Lehrthätigkeit­nimmt mich zum großen Theil in Anspruch und macht mir viel Freude« 89 sind die Botschaften, die er nun als Kadettenerzieher in Ora­nienstein an der Lahn an Ludovica aussendet. Er unterrichtet Geschichte, vertretungsweise auch Französisch und Englisch. »Ich habe, was eigentlich unerhört ist, gar keine Turnstunden bekom­men, sondern nur wissenschaftliche und zwar 8 Geschichtsstunden in Quarta, Unter u. Ober Tertia und augenblicklich 5 französische Vertretung[s] stunden in U. Tertia wöchentlich. Dazu, wirst Du wohl einsehen, muß man eine ganze Menge arbeiten, aber wie wohl schmeckt mir diese geistige Ar­beit u. wie preise ich täglich mein Geschick, was mich vor Exerciren und Felddienstübungen gnädig bewahrt. Auch pekuniär ist das Kommando von großem Vortheil, was bei meinen stets schiefen Vermögensverhältnissen nicht hoch g[e]nug anzuschlagen ist. Ich stehe mich doch so, daß ich mei­nem Papa nun nicht mehr auf der Tasche zu liegen brauche.« 90 Georges Lehr-Engagement kommentiert der Vater brieflich nicht ohne Skepsis:»Er gibt wöchentlich elf Stunden und erhebt sich bis zu der Be­trachtung: ›Bar Geld lockt‹. Ob er dabei auch an den Schneider denkt, der diese Anschauung unzweifelhaft teilt, weiß ich nicht.« 91 Aber es ist Ehrgeiz, der in George geweckt ist. Ludovica meldet er im Sommer darauf:»Ich habe jetzt sehr viel zu thun; wöchentlich 18 Stunden, am meisten von allen hier anwesenden Herren, die eigentlichen Lehrer natürlich ausgenommen, Ge­schichte, Englisch, Französisch, letzteres allerdings nur vertretungsweise aber auf meine Bitte, da ich natürlich alles thue um dereinst in eine Militär­lehrerstelle einrücken zu können.« 92 Weitgehend zufrieden meint er ein­schränkend:»man könnte doch noch so manches haben z. B. eine Frau, wo­nach ich nachgrade anfange mich herzlich zu sehnen, was allerdings nicht mit dem, was mein Vater über mich gesagt hat übereinstimmt.« 93 Fontane hatte Ludovica Wochen zuvor geschrieben, dass George»ein ›alter Herr‹ zu werden« anfange. 94 Er sieht seinen Sohn»mal wieder in ernstlicher Gefahr; ich prophezei es Dir«, schreibt er seiner Frau,»daß er mit einem ganz ar­men Mädchen auf der Bildfläche erscheint. Dergleichen erbt fort und ist auch recht gut, oder wenigstens nicht schlimm.« Unter solchen Gedanken kommt der Vater auf die Idee, im Bekanntenkreis Ausschau nach einer ge­eigneten Partnerin für seinen Ältesten zu halten und seine Frau als Vermitt­lerin zu animieren:»Ist Hedwig noch heil übrig geblieben? Könnte sie Geor­ge nicht heirathen, nachdem er bei Clärchen einem adligen Hauptmann den Vorrang hat lassen müssen?« 95 »Herzensaffairen« nehmen in Georges Briefen gelegentlich breiten Raum ein. Mit»die Mädels mögen mich immer ganz gern, aber lieben is nich«, 96 bringt er sein Dilemma auf den Punkt. Im Einvernehmen mit Ludovica er­kennt er in seiner Abneigung gegen»Gefühlsduselei« und»Liebesfaselei« seinen»Kardinalfehler«. Überdies halte er»recht wenig vom weiblichen Ge­schlecht« und stehe daher, da er das auch offen zeige,»nicht sehr in Gunst«.