Theodor und George Fontane Streiter-Buscher 157 »Es ist mir unmöglich, im Gespräch mit Damen meine moquanten Bemerkungen, Ironisirungen, Neckereien, schnoddrigen Redensarten[…] zu unterlassen, selbst nicht, wenn ich mich für eine Dame interessire[…]; und was das übelste ist, so soll ich fast immer, wenn ich mich mit einer Dame unterhalte auch noch ein Gesicht machen, als lachte ich sie innerlich aus und als wäre alles Unsinn was sie sagte. ›Lassen Sie nur Ihr verd… Gesicht‹ haben mir meine Kameraden xmal gesagt. Interessier ich mich nun lebhaft für eine Dame, so geht es mir, wie es den meisten Menschen geht, ich werde unsagbar dumm und langweilig, suche nach den schönsten Gesprächsthemen, und bringe stets ungewaschenes Zeug hervor; in dieser Noth greife ich dann wieder zu der gewöhnlichen Unterhaltung, kleine Bosheiten etc. etc. Es ist mir garnicht gegeben eine Dame, die ich gern habe, dies merken zu lassen. Ein Rath läßt sich nicht ertheilen, es ist halt ein Fehler der Natur.« 97 Zwei Jahre später, vom 1. Oktober 1879 bis April 1882, ist George als Erzieher mit Lehrverpflichtungen in Geschichte und Englisch an die Berliner Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde abkommandiert. Das nüchterne und freudlose Klima innerhalb dieser Backsteinkaserne genügt dem Erlebnishunger eines Junggesellen Ende Zwanzig nicht. George stiehlt sich möglichst oft aus der militärischen Ordnungswelt, pflegt seine musikalischen und literarischen Interessen, besucht Theater, Oper und Konzerte, Bälle und gesellschaftliche Vergnügungen in der aufstrebenden Metropole. Es gibt aber auch ein berufliches Highlight: Das Kaiserpaar, Wilhelm I. und Kaiserin Augusta, statten der Hauptkadettenanstalt am 4. September 1880 einen Besuch ab. Zum Besichtigungsprogramm gehört auch das Lehrgebäude. Auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Majestät sollte der Unterrichtsverlauf dadurch nicht gestört werden.»Zuerst gingen ihre Majestäten mit Gefolge«, wie die Neue Preußische(Kreuz-)Zeitung vier Tage später auf Seite zwei berichtet, in die Prima und anschließend in die Tertia,»wo vom Lehrer Fontane englischer Unterricht ertheilt wurde. Auch hier verweilten Ihre Majestäten, dem Gange des Unterrichts mit größtem Interesse folgend, längere Zeit und führten mit dem Unterrichtsgeber in englischer Sprache ebenfalls eine längere Conversation.« 98 Begeistert schreibt Martha Fontane ihren Eltern:»Ich stellte mir immer räumlich vor, den Kaiser und daneben George! Wilhelm ist doch nun einmal momentan der erste Mann der Welt.« 99 Knapp zwei Jahre später wird George, inzwischen zum Premierleutnant ernannt, als nunmehr Militärlehrer an die Kadettenvoranstalt Wahlstatt in Schlesien abkommandiert. Die Einsamkeit der aus einem ehemaligen Benediktinerkloster in ein Kadetteninstitut umgewandelten Anlage kommt einer ›Quarantäne‹ gleich, besonders in den Wintermonaten, und wirkt auf den jungen Militärlehrer trotz der gerade hier angetroffenen Offizierskameradschaft bedrückend isolierend.»Ein Leben ist das Dasein hier – wenigstens auf die Dauer – kaum zu nennen«, klagt er Ludovica bereits nach zwei Monaten.
Heft
(2017) 103
Seite
157
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