Editorial Editorial 5 Werte Leserin, werter Leser, dass Theodor Fontane und Karl May, der in diesem Jahr seinen 175. Geburtstag gefeiert hätte, über Amerika und dessen mehr oder weniger ›Wilden Westen‹ schrieben, ohne jemals selbst die Weiten der Prärie durchritten zu haben, ist wohl den meisten bekannt, zumal den Freundinnen und Freunden von Fontanes Amerika-Roman Quitt, die in diesem Heft der Fontane Blätter besonders auf ihre Kosten kommen werden. Dass die Bücher beider Autoren zeitweise in nahezu gleichen Einbänden erschienen, wissen hingegen nur wenige. Im Detail nachgezeichnet wird diese ungewöhnliche Gemeinsamkeit in dem ebenso buchkundigen wie beschreibungsfreudigen Beitrag von Georg Wolpert zu den Verlagseinbänden von Fontanes – und eben auch Mays – Büchern, wobei Wolpert insbesondere dem Geheimnis eines roten Stechlin- Einbands auf der Spur ist. Den umfangreichsten Teil des Heftes nehmen dieses Mal literaturgeschichtliche Studien zu Fontanes Romanen und Erzählungen ein. Der irische Fontane-Forscher Florian Krobb geht in seiner genauen Lektüre des Cécile-Romans einem ebenso grundlegenden wie irritierenden Verfahren Fontanes auf den Grund: der stilistisch fein instrumentierten Arbeit mit Ambivalenzen, Kollisionen und Gegensätzen, die er als ein»Spiel der unsicheren Bedeutung« interpretiert und in Beziehung setzt zur»Problematik einer Gesellschaft ohne Zentrum«, die in den Werken Fontanes mit sozialkritischer Dringlichkeit verhandelt wird. Die besondere Achtung vor dem Detail, die sich in Krobbs Analysen zeigt, stellt auch Sarah Nienhaus ins Zentrum ihres Beitrags, der sich einer(nur scheinbaren) Nebensächlichkeit in Fontanes Romanen widmet, nämlich den typographischen Klammern. Die erzähltechnische Funktion dieser Klammern, insbesondere im Stechlin, erörtert Nienhaus vor dem Hintergrund einer allgemeinen ›Poesie der Interpunktion‹ – und arbeitet auf diese Weise Fontanes bemerkenswerte Technik der Vermischung von Erzähler- und Figurenstimmen heraus.
Heft
(2017) 104
Seite
5
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