Heft 
(2017) 104
Seite
28
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28 Fontane Blätter 104 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte »Die Welt ist eine Welt der Gegensätze, draußen und drinnen«. Fontanes Cécile und die Unmöglichkeit von »Mut« Florian Krobb Manche Aussprüche Fontanescher Figuren lesen sich wie Binsenweis­heiten. So auch Gordons Grübelei:»Die Welt ist eine Welt der Gegensätze, draußen und drinnen, und wohin das Auge fällt, überall Licht und Schat­ten«(293). 1 Platziert kurz nach dem Wendepunkt der Handlung, Klothildes Brief, der über Herkunft und Skandal der Titelgestalt Aufschluss gibt, scheint dieser Maxime jedoch größere Bedeutung in der Ökonomie des ­Romans und für die in ihm aufgerollte Problematik innezuwohnen. Schon vorher war die Titelgestalt von demselben Sprecher in gleicher Weise ge­kennzeichnet und der Maxime über die allgemeine Bedeutung hinaus eine konkrete Anwendbarkeit auf die konkrete Geschichte zugewiesen worden: Cécile sei»Überhaupt voller Gegensätze«(188). Ein Leitprinzip der Gestal­tung der erzählten»Welt« in C é cile schält sich heraus, das in vielfältiger Variation den epistemischen, moralischen und sozialen Status der verschie­densten Erscheinungen über die Annahme einer Bipolarität beleuchtet und dabei das Verhältnis zwischen den zur Kennzeichnung herangezogenen »Gegensätzen« einbegreift. Denn der zitierte Gedankengang Gordons geht weiter:»Alles verträgt sich, man rückt mit Gut und Bös ein bißchen zusam­men, und wer heute sittlich ist und morgen frivol, kann heute gerade so ehrlich sein wie morgen«(293). Ist eine Erscheinung, etwa eine Person, die Summe der sie bezeichnen­den Gegensätze? Sind diese Gegensätze unversöhnlich und unversöhnbar oder streben und verlangen sie regelrecht nach Ver- und Aussöhnung, um dahinter eine Essenz ausfindig zu machen? Ist das Prinzip des Gegensätzli­chen konstitutiv für die Ordnung der»Welt«, was sind dann die Konsequen­zen für unser menschliches Verhalten in der Welt? Gerade weil der hier mit sich selbst Redende seine eigene Einsicht nicht befolgt und sich die Aus­gleichs-Maxime in Antagonismus umkehrt, weil der für Leser wie Figuren unsichere Status solcher Sentenzen, also das Spiel mit Verlässlichkeit und Irreführung, ein Gestaltungsprinzip des Romans ist, kommt der Aussage eine autopoetische Bedeutung zu: Die Inszenierung des Gegensätzlichen