»Die Welt ist eine Welt der Gegensätze« Krobb 29 erfolgt in Fontanes Roman durchgängig durch duale oder binäre Attribuierungen oder Werturteile, die das Wesen von Gegensätzlichkeit als solches auf den Prüfstand stellen, es mit verwandten Doppelungsphänomenen wie dem Tautologischen und dem Inkompatibilen zusammendenken. Dieses Verfahren lenkt die Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit des Benennens, auf den epistemischen Status der bedeutungstragenden Identifizierung durch Bezeichnung. Die Methode der gegensätzlichen oder doch, neutraler, paarweisen Anordnung und dualistischen Verfasstheit der Romanwelt sowie der alternativen, bipolaren Sinnangebote und Bedeutungszuschreibungen durchzieht den gesamten Text in einer ungeheuren Dichte und Komplexität. An einer Schaltstelle der Geschehens wird die Konvention der Zuschreibungs-Doppelung allerdings durchbrochen und durch eine Trias ersetzt, nämlich in einer geradezu homiletisch inszenierten Rede des Hofpredigers Dörfel mit der Absicht, Cécile in ihrem Unglück zu trösten:»Aber zwischen Hochmut und Demut steht ein drittes, dem das Leben gehört, und das ist einfach der Mut.«(259) 2 In der bipolaren Textur des Romans hat diese Behauptung einer Mitte allerdings keine Chance zur Entfaltung; damit ist auch die moralische und epistemologische Möglichkeit verworfen, einen Ausgleich, Zwischenraum oder eine tragfähige Schnittmenge zwischen den Polen zu definieren. Dieser»Mut« des Dritten, Nichtantagonistischen findet erst posthum eine Ausdrucksform. I Theodor Fontanes Cécile verwendet eine Reihe verschiedener Verfahren, Alterität und Ambivalenz in den Zonen zwischen Eigen und Fremd, zwischen diametral gegenläufigem Zugriff und verschwommenem Einerlei zu kennzeichnen. Dazu gehört es, Signale wie Namen, deren historische Anfüllung, deren Resonanzpotential und deren Bedeutung auf Kongruenz und Reibungen abzuklopfen. Die beiden männlichen Hauptgestalten beispielsweise tragen Namen, die auf eine nichtdeutsche Herkunft ihrer Familien schließen lassen: St. Arnaud auf eine hugenottisch-französische und Gordon-Leslie auf eine britische, speziell schottische. Die Familiengeschichten der Namensträger, besonders ihr Weg nach Preußen und in die preußische Armee, werden nicht thematisiert; von dem Obristen St. Arnaudwird allerdings schon früh eine heldenhafte Rolle im deutschfranzösischen Krieg von 1870/71 angedeutet(148); Gordon-Leslie berichtet davon, dass einer der Namenskomponenten erst»durch Adoption in unsere Familie gekommen« sei(154). Schon die Namensgebung trägt so einen Faktor von Unsicherheit, von Zugehörigkeitsvorbehalt und Dislozierung in den Text, der sich ja ansonsten so prononciert preußisch-berlinerisch
Heft
(2017) 104
Seite
29
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