Heft 
(1966) 3
Seite
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als Ehefrau tritt uns darin die Mutter entgegen (nicht sie, sondern eine Wirtschafterin ist es, die der alte Fontane nennt, wenn er der stärksten erzieherischen Einwirkung zu gedenken hat, die ihm im Elternhaus durch eine Frau zuteil geworden sei). Der Vater aber ist hauptsächlich und vor allem Vater, Vor-Bild bis in die menschlich-allzumenschlichen Liebhabereien und Schwächen hinein.

Die besondere Rolle, die Louis Henri Fontane in der Entwicklung seines Sohnes bis in dessen höchstes Alter hinein spielte, veranlaßt uns, nach den charakteristischsten Stationen und Abwandlungen dieses Einflusses zu fragen, ausgehend von Fontanes eigenen Erinnerungen, die er als Zweiundsiebzig jähriger schrieb. Nur in wenigen Fällen werden wir es nötig haben, sie durch frühere Belege zu ergänzen und abzurunden. Wie fast alles in diesem Lebenslauf wurde auch das Vorbild des Vater erst im Alter für Fontane in seinereigentlichen, gültigen Bedeutung faßbar. Die Zufälligkeiten verblichen, das Wesentliche trat ins Bewußtsein.

Fontane wehrte sich lange Zeit gegen das Schicksalsbild des Vaters. Des öfteren empfand er es als ein dem eigenen Lebenslauf zwanghaft vor­gezeichnetes Muster. Dieser Gedanke konnte sich bis zu fatalistischen Wahnvorstellungen steigern. In der schwersten Erkrankung seines Alters einem Nervenleiden sah und fürchtete er hauptsächlich die Anzeichen des nahen Todes, weil der Vater im gleichen Alter gestorben war. Es wird zu zeigen sein, daß Fontane es an entschei­denden Stellen seiner Entwicklung darauf anzulegen schien, aus dem Schicksalsmuster des Vatersauszubrechen. Schon zeitig war er sich einer starken Ähnlichkeit bewußt geworden. Die Mutter betrachtete er stets aus einer her oder minder großen Distanz, schätzte sie ebendeshalb ehrfurchtsvoller ein. Die bewußte und fr'eie Annähe­rung des Bildes des Vaters an sein eigenes aber, die erganz zu­letzt, in denKinderjahren, vollzog und die er stellenweise bis zu einer fast unterschiedslosen Verschmelzung durchführte, war ihm erst möglich geworden, nachdem er auch im letzten und noch übrigen, im physischen Bereich sich der Selbständigkeit seines Schicksals zweifelsfrei versichert sah. Fontanes schwere Erkrankung des Jahres 1892 führte nicht zum Tode. Das Werk, durch das er sich endgültig von ihr gesundschrieb, waren dieselbenKinderjahre. Indem Fontane das Vorbild des Vaters objektivierte, gelangte er zu letzter Klarheit über sich selbst. Poetisch ermöglichte sie ihm den Abschluß seines Gipfelwerkes, das er bereits aufgegeben hatte.Effi Briest wurde unmittelbar nach denKinder­jahren vollendet.

In drei Phasen entwickelte sich diese eigenartige Vater-Sohn-Beziehung. Sie verhalten sich zueinander wie Thesis, Antithesis und Synthesis: Nach­folge, Ablösung, ja Abstoßung, und schließliche Verschmelzung. Nur wenn man im Frühen das Späte, im Späten das Frühe gegenwärtig sieht, wird man sie richtig einschätzen können im Hinblick auf den Vater, vor allem aber auch auf den Sohn.

Louis Henri Fontane wurde am 24. März 1796 in Berlin geboren. Sein Vater, Pierre Barthelemy^ Fontane, war dreimal verheiratet. Louis Henri entstammte der ersten Ehe; die Mutter, Louise Sophie geb. Deubel (1758 bis 1797), die Tochter eines wohlhabenden westfälischen Kaufmannes, starb bereits ein Jahr nach seiner Geburt. Pierre Barthelemy, den im Jahre 1803 ein nervöses Augenleiden zur Aufgabe seines Berufes als Kabinetssekretär der Königin Luise gezwungen hatte, erhielt 1807 ein