Heft 
(1970) 10
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hatte allgemein dieselbe wehmütige Empfindung, die ich schon gegen Dich ausgesprochen habe. Am Abend war ich zu Haus und las die zweite Hälfte des Caputh'-Aufsatzes in der Kreuzzeitungs-Beilage. 0

Sonntag, 1. Mai. Fleißig gearbeitet. Besuch von Herrn Hertz 7 . Kleines Diner bei Zöllners; nur Lepel 8 zugegen. Der Chevalier brachte bei dieser Gelegen­heit folgenden echten Chevalier-Toast aus:Die Themse, in der ihr Bild sich spiegelt.' Am Abend gelesen und an Frau Clara Kugler geschrieben.

Montag, 2. Mai. Verschiedne Besuche. Frau Clara nimmt die Einladung zum Donnerstag an. Gearbeitet. Am Abend zu Sommerfeldts 10 . Ich traf nur die Kinder, von denen die Mädchen doch immer wieder einen ganz guten Eindruck machen. Paulchen reizend, aber das Kind bleibt nicht leben. Ein heitres Schel- menkind mit einem kranken Herzen; eine seltene Mischung, denn ein krankes Herz läßt im allgemeinen nicht heiter sein.

Dienstag, 3. Mai. Brief von George 11 , der wieder das Unglück hat,zu wenig Löhnung zu kriegen", mit andern Worten, wieder nicht auskommen kann. Ich habe an Geh. R. Kraatz geschrieben, dessen Antwort ich mit 4 Talern, die ich ihm (Georgen) für die Pfingsttage versprochen hatte, heute nach Hannover geschickt habe. Meine Begleitzeilen waren ruhig, aber sehr gepfeffert. Am Schluß schrieb ich ihm,ob er sein Leben nicht endlich so einrichten wolle, daß uns seine Erscheinung und seine Briefe, die bis[her] immer nur gleich­bedeutend mit Ärger und Sorge gewesen wären, endlich anfingen, Freude zu machen". Dies klingt hart, ist aber die reine bare Wahrheit; sein Kommen und seine Briefe sind mir ein Bangen, ein Schrecknis. Nimm Dir dies aber nicht zu Gemüt. Es sind ja nicht Summen, die schwer ins Gewicht fallen, alles ist nur gerade so, daß es einen ärgern kann. Wenn andre Bengels ebenso sind, so ist mir das ein geringer Trost, übrigens sind sie nicht alle so, es gibt sehr viele Ausnahmen. Am 3. morgens hatte ich das übliche Gratulations­bouquet zu Hesekiels 1 - geschickt; am Abend war ich ein paar Stunden bei ihnen, er hat einen Gichtanfall, so daß sich das Bachanal innerhalb bescheid­ner Grenzen hielt; er trank nur Limonade, aber aus einem Pokal. So sucht sich das Herz zu täuschen.

Mittwoch, 4. Mai. Ich stand schon gleich nach 6 auf, da Frau Fiedler mit dem Portier derartige Schnabbergespräche führte, daß ich aufwachte und nicht wieder einschlafen konnte. Deckenklopfen etc. stört mich nicht, aber gegen ordinäre Stimmen bin ich fast so empfindlich wie Lepel. Ich hatte nun noch Zeit und machte zwischen 7 und 8 einen Morgenspaziergang. Es war ein wenig windig, und als ich auf den Hafenplatz kam, wankte mir ein höchst fragwürdiges Paar entgegen, er in einem grünlichen Überzieher, dritte Garni­tur und dito Hut, sie in Morgenhaube unterm Hut, einem Sommermäntelchen, das Geschwisterkind von dem Deinigen zu sein schien, und in Bambuschen, so groß wie meine Filzschuhe, die teils aus Filz, teils aus Tuchecken zu bestehen schienen. Der Wind machte es, daß sich diese beiden Torfkähne in ihren gan­zen Gräßlichkeiten präsentierten. Es waren Grimms. Das Damenkostüm erinnerte lebhaft an die Garderobe von Frl. v. Rohr 13 , wenn sie in der Schum­merstunde ihre Einkäufe machte. Die Begegnung, das kann ich wohl sagen, machte einen Eindruck auf mich. Die ganze Bettelhaftigkeit unsrer Zustände stand auf einen Schlag vor mir. Ich kann und darf so gehn. Wer bin ich? ein

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