THEODOR FONTANE
Unbekannte Gedichte an die Schwestern von Weigel
Mitgeteilt und kommentiert von Joachim Krueger, Berlin.
Nicht ohne Recht ist unlängst festgestellt worden, in einem bestimmten Sinne sei »Fontanes gesamtes lyrisches Werk Gelegenheitsdichtung: er schuf sie auf die Gelegenheit hin, die sie zur Wirkung kommen ließ, und wenn diese Gelegenheit ausblieb, ging sein Interesse an einer bestimmten Stoff- oder Formengruppe bald spürbar zurück' 1 . Es ist daher verständlich, daß das, was wir im engeren und eigentlichen Sinne als Gelegenheitsdichtung bezeichnen, in seinem lyrischen Schaffen einen breiten Raum einnimmt 2 .
Unter den bisher bekannt gewordenen Gelegenheitsgedichten befinden sich bereits einige, die an die Schwestern von Weigel gerichtet sind, so etwa die einfacheren, mehr persönlichen Gedichte „Begrüßt von unsren besten Wünschen" und „Einsame Palme — Am Lützow-Platze steht ein Haus' oder die mit Bildungsgut beladenen Strophen „Halben Weges zwischen dem Lateran" und „Im dreizehnhundert und elften Jahr". Hier sollen nun — aus dem Besitz der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin und mit freundlicher Genehmigung der Bibliotheksleitung — weitere Gedichte Fontanes an die Schwestern von Weigel mitgeteilt werden. Die Handschriften dieser Gedichte hat die Universitätsbibliothek 1930 von dem Fontane-Sammler und Berliner Bankier Paul H. Emden erworben 3 .
Die Empfängerinnen, die Fontane in den Gedichten ehrt und feiert, Helene und Clementine von Weigel, waren die unverheirateten Schwägerinnen des Malers und Professors an der Berliner Akademie der Künste August von Heyden, der wie Fontane dem „Tunnel über der Spree' und dem Rytly angehörte und dessen Frau Josephine eine geborene von Weigel war. August von Heyden zählte, wie man aus den Briefen des Dichters weiß und wie es andere Gelegenheitsgedichte bezeugen, zu den Freunden Fontanes, und zwischen den Familien Fontane und von Heyden bestanden enge und freundschaftliche Beziehungen, so sehr auch Fontane in seinen Briefen gelegentlich zu kritischer Distanzierung von seinem Freund und „Tunnel'-Kollegen geneigt sein mochte. Aus solchem geselligen und familiären Verkehr heraus sind die Gedichte an die Schwestern von Weigel entstanden. Einige von ihnen stellen lyrische Aufmerksamkeiten Fontanes anläßlich eines Geburtstages dar 4 . Der Gehalt der Verse ist, wie bei Gelegenheitsgedichten kaum anders zu erwarten, nicht eben erheblich, vielleicht abgesehen von „Ich drücke nicht die Hand ans Herz". Dafür bereitet jedoch die Erläuterung der Namen, Ereignisse und Sachen, die darin genannt und behandelt werden oder auf die angespielt wird und die zumindest biographisch nicht ohne Interesse sind, desto mehr Mühe.
Wir sind indessen in der glücklichen Lage, daß wir zu drei Gedichten handschriftliche Erläuterungen von Fontanes Sohn Friedrich besitzen. Emden hat nämlich die von ihm erworbenen Manuskripte mit der Maschine abschreiben und in einigen Fällen die Kopien Friedrich Fontane, wohl mit der Bitte um Kommentierung, zugehen lassen. Teilweise besaß Friedrich Fontanes eigene Abschriften, deren Text nicht immer mit Emdens Originalen übereinstimmte.
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