Das ist alles andere als ein Freskogemälde, das Erinnerungen an Sempach und Morgarten anklingen lassen möchte. An dieser Stelle, wo ein durchschnittlicher Schriftsteller der Versuchung zum Pathos kaum hätte widerstehen können, verharrt Fontanes in einem Realismus, der gelegentlich die Karikatur streift.
Gerade darin aber liegt die erste Voraussetzung für die bleibende Bedeutung dieses Romans, daß er das billige Klischee so völlig meidet, und eben damit kennzeichnet er sich als das Werk eines wahrhaft überlegenen Geistes. Es ist wahr, Fontane hat sich der Gattung des historischen Romans nicht wieder zugewandt, und darin mag man das Eingeständnis sehen, daß er hier sein eigentliches Feld nicht gefunden hatte. Es ist ferner richtig, daß ihm die künstlerischen Mittel, deren er sich auf der Höhe seines Schaffens zu bedienen wußte, für sein „Frühwerk“ noch nicht voll zu Gebote standen. Dennoch ist der unvergleichliche Zauber Fontanescher Erzählungskunst in „Vor dem Sturm“ bereits unverkennbar, und wenn man gesagt hat, dieser Roman bestehe eigentlich aus einer Reihe von Genrebildern, so sind es jedenfalls solche von erlesenstem Reiz. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß es des rückstrahlenden Glanzes der späteren Meisterwerke des Dichters nicht bedurfte, um seinem Erstling literarischen Rang zu sichern. Dieser wird nicht zuletzt durch die Tatsache bestätigt, daß, wie erwähnt, auch das literarische Ausland dem Roman sein Interesse zugewandt hat. Es sei im übrigen auf die eingehende kritische Würdigung hingewiesen, die er, als Kunstwerk, in den Fontanebüchern Joseph Ettlingers und Conrad Wandreys gefunden hat.
Schlußbemerkung: Der Aufsatz von Erich Biehahn „Fontanes ,Vor dem Sturm'“ erschien 1938 in der „Frankfurter Oderzeitung“, die seit Jahrzehnten ihr Erscheinen eingestellt hat. Die Zeitung ist u. W. nur noch im Stadtarchiv Frankfurt (Oder) vorhanden und hier nicht ausleihbar. Die im Fontane-Archiv befindliche Fotokopie wurde wiederholt von ausländischen Doktoranden angefordert. Wir veröffentlichen die Arbeit im Einverständnis mit Herrn Erich Biehahn, um sie der öffentlichen Benutzung zugänglich zu machen.
Wir verweisen ferner auf die von Gotthard Erler 19G9 veröffentlichte Entstehungsund Wirkungsgeschichte des Romans „Vor dem Sturm“ in der achtbändigen Ausgabe der Romane und Erzählungen Theodor Fontanes des Aufbau-Verlages (1969), Band 1, Seiten 325 bis 376. - Die Redaktion -
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