Im Erinnerungsbuch versichert Fontane: „Ich hatte das Glück, in meinen Kindheits- und Knabenjahren unter keinen fremden Erziehungsmeistern — denn die Hauslehrer bedeuteten nach dieser Seite hin sehr wenig — heranzuwachsen “. 13 Das Elternhaus Quelle des Wissens, der Liebe — dieses Zeugnis ergänzt Fontane durch Gedenken an August Lau: „ich (muß) ... den guten Dr. Lau ausnehmen ... das bißchen Rückgrat, was mein Wissen hat, verdank ich ihm ... Ich liebte Dr. Lau ganz aufrichtig, mehr als irgendeinen anderen Lehrer, den ich später gehabt habe “. 14
Das 13. Kapitel der Kindheitserzählung Fontanes schildert dessen Swinemünder Schülerjahre, die Zeit von Johanni 1827 bis Frühjahr 1832, so auch die Zeit mit den — wie wir lesen — „gütigen oder gleichgültigen Hauslehrern“ 15 Lau, Kandidat Knoop und Dr. Philippi. Fontanes Lau- Darstellung sei nun wiedergegeben, soweit sie sich unmittelbar zu Lau’s Lebensweg oder Wesensart ausspricht: 16
Dr. Lau . . . war ein vorzüglicher Pädagog, well er ein vorzüglicher Mensch war. . . (Er) verstand es, einem allerlei kleine Geschichten, woran eine Kinderseele hängt, zu vermitteln, aber weil er zugleich ein geschulter Mann war, so tat er das alles in Ordnung und Zusammenhang .. .
Er mochte damals . . . gegen dreißig sein, sah aber älter aus 17 , was wohl damit zusammenhing, daß er zu jenen disproportionierten Leuten gehörte, bei denen Linien und Maße nicht recht stimmten. Man suchte sofort nach einem Buckel, trotzdem dieser eigentlich nicht existierte oder doch nur ganz embryonisch. Dafür war aber etwas anderes da: der bekannte große Kopf mit eindringlichem Gesicht und Leberteint, wozu sich dicht neben dem rechten Auge auch noch eine sogenannte „Himbeere“ von apart dunklem Farbenton gesellte. Den Schluß machte eine große Brille mit Silberfassung, die er, wenn er etwas genauer sehen wollte, jedesmal abnahm und putzte. Das Ganze von Schönheit weit entfernt. Dennoch darf man sagen, daß er auch äußerlich einen guten Eindruck machte, weil man ihm Wohlwollen, Humor und Idealismus von der Stirn herunter lesen konnte. Solche Menschen gibt es nicht mehr oder doch kaum noch. Sie waren das Produkt einer armen, aber zugleich geistig strebsamen Zelt. In kleinen Verhältnissen geboren, hatten sie sich mit Notgroschen und Stipendien durchgeschlagen und unter Bitternissen und Demütigungen aller Art doch keinen Augenblick den Mut verloren. 18 ... Dr. Lau . . . (war) in dem Bewußtsein, „ich bin ein Schüler von SChleiermacher 19 und besitze nicht nur den West-östlichen Diwan, sondern kann ihn sogar auswendig“, über alle Misere des Lebens hinweggekommen . .. und (führte) allem Anschein nach auch jetzt wieder nach seinem Eintreffen in Swinemünde - dessen „Konsuln“ ihm, als einem guten Uviuskenner, schwerlich imponierten - ein innerlich freies und glückliches Leben... Die Konsuln ihrerseits lachten natürlich auch über Dr. Lau und hielten ihn für eine komische Null. So war seine Stellung zu den Stadtgrößen. Anders stand er in dem Krauseschen Hause ... Da war er geliebt und geschätzt und antwortete darauf mit Hingebung und Treue. Wir liebten ihn außerordentlich und sahen ln ihm in jeder Hinsicht Ausgezeichnetes .. . Unter allem, (was wir an diesem kleinen Manne ... bewunderten,) 70 ... stand uns eines obenan: er war nämlich auch Bräutigam. Das Bildnis seiner Braut, in Pastell, hing am Fußende seines Bettes, einer Pastorentochter (aus der Ostprignitz) 71 von freundlichen, beinahe hübschen GesiChtszügen ... Übrigens wolle man aus dem Pastellbilde .. . nicht schließen, daß Dr. Lau von einer gekünstelt her- aufgesChraubten Gefühlsbeschaffenheit gewesen wäre, ganz im Gegenteil! Er war von durchaus gesundem Sinn . ..
(Dr. Lau . . . hatte auch etwas von [dem] Selbst- und Uberlegenheitsgefühl [des Dr. Philippi] gehabt, aber in ganz anderer Art. Lau war nicht spitz und ironisch, sondern immer nur heiter und humoristisch gewesen und hatte seine vergnügliche Stimmung, und mit ihr Licht und Behagen, zunächst in seine Verkehrsformen und schließlich auch seine Unterrichtsstunden mit herübergenommen.) 77
(Lau verließ uns im Spätherbst 1830 . . .) 77 (Er) (. . . hat nie mehr von sich hören lassen .. . Viele Jahrzehnte später erfuhr idh, daß er Rektor in WittstoCk geworden sei, und als solcher ist er mutmaßlich gestorben.) 74
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