Heft 
(1974) 19
Seite
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Ein anonymer Brief an denTheaterfremdling Th. F.

[Wir veröffentlichen erstmalig einen anonymen Brief an Theodor Fontane, der 1870 bis 1889 Theaterkritiker an derVossisehen Zeitung in Berlin war. Eine Abschrift des Briefes befindet sich unter Signatur Da 1036 im Theodor-Fontane- Archiv.J

(Noten):Du siehst mich an und kennst mich nicht.

Mein Herr. Erlauben Sie, daß ich Ihnen rückhaltlos meine Meinung sage. Sie haben durch Ihre Critik über die Ifigenie, die von Übertreibungen und Wiedersprüchen wimmelt, bewiesen, das es in der That das Beste wäre, wenn Sie sich selbst aufhängten, und ich rate Ihnen es zu thun, ehe Sie wieder eine solche Recension drucken lassen, die Ihnen nur schaden kann, ohne sonst den geringsten Nutzen zu bringen. Überlegen Sie sich ein andermal, wenn Sie denn doch selbst einsehen, daß Ihr dummes Zeugreizt, reizt, kränkt und nichts nützt, ob Sie dergleichen nicht lassen ganz unterlassen, überhaupt sich lieber gleich aus dem Staube machen, wenn Ihr so durchaus richtiges Urtheil und Gefühl sich gegen etwas empört, wie das Ausbreiten der Arme beim Herunterkom­men der Stufen. Alle Kritiken haben allerdings Frau Ehrhardt auf Fehler aufmerksam gemacht, die am Ende bei einer ersten Darstellung Iphiegenie unvermeidbar sind, aber keiner ist so rücksichtslos, so gemein in seinen Ausdrücken gegen eine Dame gewesen, die durch ihren Fleiß und ihr immerwährendes Bei-der Sache-Sein Jedermanns unbegrenzte Achtung verdient, die freilich auch weit davon entfernt ist, sich durch Bestechung gute Kritiken zu erkaufen!

Sie haben durch Ihre Kritiken, die ich gesammelt, aus mehreren Grün­den gesammelt, gezeigt, daß Sie die Extreme lieben, daß Sie entweder bis in den Himmel heben oder kein gutes Haar an Jemand lassen . Haben Sie denn gar nicht bemerkt, wie sich die Künstlerin geängstigt hat, und sich daher Vieles verdorben? Können Sie wirklich glauben, daß Sie die Iph. nicht versteht und begreift, nachdem Sie selbst gesagt haben, Sie können sich mit den Besten messen, und nachdem Sie das Verschiedenste aufgezählt haben, worin Sie vorzüglich ist?!

So haben Sie es seit einiger Zeit auch auf unseren Meister Doering gemünzt, es geht eben kein Einziger und keine Einzige leer aus, und wofür Sie sich vor einigen Jahren fürchteten, das sind Sie geworden, einNörgler und Querulant in aestheticus, wie es keinen zweiten giebt. IJat es Sie so sehr gegiftet, daß Ihre Herrn Collegen Ihnen den SpitznamenTheaterfremdling gegeben? Haben Sie sich nun geschwo­ren, Alles von vornherein zu verdammen? Ihnen ist recht geschehen!!! Sehen Sie sich Ihre Recension vom 16. 9. 70 an! wenn Goethe seinen Recensenten noch nicht geschrieben hätte, ich gebe Ihnen mein Wort, er schriebe ihn, wenn er Sie kennen lernte, nur daß er gleich mit dem letzten Verse begönne,Schlagt ihn todt den Hund! Er ist ein Recensent.

Ich habe die EHRE!!

[Ohne Ort und Datum.]

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