Heft 
(1974) 19
Seite
237
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beruhigen sucht, beruft er sich auf Attinghausens Ermahnung gegenüber Rudenz:Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, / Das halte fest mit deinem ganzen Herzen, / Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft (11,1), wobei Schmidt allerdings die ersten beiden Verse ausspart und den dritten mit hörbarem ironischen Unterton auf denCharakter seiner Jugendfreundin Jenny anwendet. 1

Auf eigenartige Weise bedient sich Fontane der Teil-Gestalt und des vorsätzlichen Übersehens des Geßler-Hutes in dem Dialog zwischen Treibei und dem Polizeiassessor Goldammer (4. Kap.):Übrigens, da wir mal bei Obersphäre sind, wie steht es denn mit der Grußgeschichte? Hat er wirklich nicht gegrüßt? Und ist es wahr, daß er, natürlich der Nichtgrüßer, einen Urlaub hat antreten müssen? Es wäre eigentlich das Beste, weil es so nebenher einer Absage gegen den ganzen Katholizismus gleichkäme, sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe. Goldammer, heimlicher Fortschrittler, aber offenbar Antikatholik, zuckt die Achseln und sagte:So gut steht es leider nicht und kann auch nicht. Die Macht der Gegenströmung ist zu stark. Der, der den Gruß verweigerte, wenn Sie wollen, der Wilhelm Teil der Situation, hat zu gute Rückendeckung. Wo? Nun, das bleibt in der Schwebe; gewisse Dinge darf man nicht bei Namen nennen, ... ehe wir nicht der bekannten Hydra den Kopf zertreten oder, was dasselbe sagen will, dem altenfritzischen ,Ecrasez lin- fäme zum Siege verholfen haben.... Gotthard Erler vermutet mit Recht, daß es sich hier zunächst einmal im Kern der Sache um eine Anspielung auf die Sympathien der Kaiserin Augusta, der Gemahlin Kaiser Wilhelms I., für den /Katholizismus handelt. 2 Aber wer vertritt in diesem Fall denGeßler, der, so ehrenrührig von dem zum Gruß verpflichtetenTeil der Situation geschnitten, mit einer derart frag­würdigenGenugtuung abgespeist wird, daß sie den Affront, statt ihn auszulöschen, vielmehr noch steigert? Die Antwort gibt uns kein Gerin­gerer als Bismarck, der am Schluß des 25. Kapitels seinerGedanken und Erinnerungen schreibt:Die Kaiserin Augusta ließ mich ihre Ungnade andauernd fühlen, und ihre unmittelbaren Untergebenen, die höchsten Beamten des Hofes, gingen in ihrem Mangel an Formen soweit, daß ich zu schriftlichen Beschwerden bei Sr. Majestät selbst veranlaßt wurde.

Die Zitate und Anspielungen aus bzw. auf SchillersWilhelm Teil in Frau Jenny Treibei unterstreichen noch einmal bestätigend Turners einleitende Feststellung S. 153, daß sich der Leser niemals erlauben dürfe,dem Text der Fontaneschen Romane und Erzählungen lässig zu folgen, indem er sich etwa auf die Gipfelpunkte konzentriert und das Dazwischenliegende, das vermeintlich Nebensächliche überschlägt.

Anmerkungen (nach Bd. 6 der von Peter Goldammer, Gotthard Erler, Anita Golz u. Jürgen Jahn hrsg. achtbändigen Ausgabe der Romane und Erzählungen Fon­tanes, Aufbau-Verl. Berlin & Weimar, 2. A. 1973).

1 Die beiden Schiller-Zitate S. 328 und 246

2 Erläuterungen S. 539 betr. S. 308

Dr. Günther Voigt, Potsdam