Elfis Sehilsucht nach ihrer seelischen Heimat Hohen-Cremmen. Als Effi die Worte „Effi komm“ zum ersten Male hört, weiß sie schon von ihrer neuen Lebenslage, wodurch sie wie eine halb-gewachsene Pflanze gepflückt und von ihrer natürlichen Umgebung entfernt wird. Sie steht an der Schwelle einer für sie unnatürlichen und neuen Ordnung: Das Neue lockt sie zwar, aber in dem es im Unnatürlichen verwurzelt ist, stürzt es sie ins Unglück. Denn Effi, wie im ganzen Roman fast leitmotivisch betont wird, ist zu jung. Beide Male rufen sie die Worte „Effi komm“ zu ihrer Heimat, zu ihrer Jugend und Natürlichkeit zurück, das erste Mal als Warnung vor der kommenden Unordnung, das zweite Mal um die natürliche, menschliche Ordnung wiederherzustellen. Daß diese Worte auf Innstetten einen tiefen Eindruck machen — denn das erste Mal hört er sie auch — beweisen seine Nachdenklichkeit und seine geistige Abwesenheit während des Gesprächs mit dem alten Briest kurz nach der Verlobung: „Er glaubte nicht an Zeichen und Ähnliches,
... aber er konnte trotzdem von den zwei Worten nicht los, und während Briest immer weiterperorierte, war es ihm beständig, als wäre der kleine Hergang doch mehr als ein bloßer Zufall gewesen .“ 54
In den noch bedeutenderen Worten des alten Briest „ein (zu) weites Feld“ scheint Fontane selbst durchzuschauen. Mit drei besonders wichtigen Gesprächen sind die Worte verknüpft: mit dem Gespräch der Eltern nach der Hochzeit; mit der Unterhaltung zwischen Effi und ihrem Vater während ihres Besuches zu Hause nach Annis Geburt; und wieder mit einem Gespräch der Eltern, nämlich mit dem nach Effis Tod. Mit diesen Worten klingt der Roman aus. Jedes Mal beleuchten sie im Gesnrächszusammen- hang bedeutsame Gesichtspunkte, die an sich auf das Scheitern der Ehe hinweisen, den Unterschied in Effis und Innstettens Persönlichkeiten, sowie auch Effis leichtsinnige Einstellung zur Ehe, die Treue der Kreatur im Gegensatz zu der des Menschen, daneben Innstettens Mangel an verständnisvoller Aufmerksamkeit Effi gegenüber und schließlich die endgültige Frage nach der Unreife Effis zur Ehe, die ein Schuldbewußtsein der Eltern aufzeigt.
Der alte Briest gesteht Effi, daß es schwer ist, zu wissen, „was man tun und lassen soll“. Diese Unwissenheit ist auch seinen Worten „ein weites Feld“ zu entnehmen. Was anfangs wie ein bloßes Ausweichen, ein „Sich- Nicht-Auseinandersetzen-Wollen“ mit den wesentlichen Fragen des menschlichen Daseins, aussieht, ist in Wirklichkeit Ausdruck einer tiefen ehrlichen Humanität, „die um das Temporäre aller Wertungen und aller in Wort gefaßten Prinzipien gegenüber der Vielfalt des Lebendigen weiß .“ 55
Durch das Leitmotiv tritt Fontane selber in den Roman ein, um die Frage nach der Gültigkeit der bestehenden Ordnung zu unterstreichen, aber gleichzeitig läßt er sie offen. Durch die Worte der Ritterschaftsrätin von Padden weist Fontane auf das menschliche Schicksal dieser „Ordnung“ gegenüber hin: „Man muß immer ringen mit dem natürlichen Menschen“ , 56
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