Hans Schwerdtner (Großenhain)
Erinnerungen an den Lehrer Lösche, der Fontane Kenntnis von der Ermordung des Försters Frey vermittelte („Quitt“)
Ich sehe ihn heute noch vor mir, mittelgroß, hager, etwas gebückt mit buschigem Vollbart, damals zwischen siebzig und achtzig Jahren. Zuerst gefiel er mir gar nicht, denn er hatte die Angewohnheit, mit jedem Jungen, den er traf, Kopfrechenübungen zu veranstalten. Ich konnte mir Angenehmeres vorstellen und ging ihm deshalb aus dem Wege, Das ging solange, bis ich eines Tages erfuhr, daß der Papa Lösche den Dichter Theodor Fontane gut gekannt hatte. Nun war ich neugierig geworden und ließ mir von ihm erzählen: Lösche war jahrzehntelang in Krummhübel, dem heutigen Karpacz, im Riesengebirge Lehrer gewesen und hatte dort die Zeit des aufkommenden Fremdenverkehrs miterlebt. Zu den ersten Sommerfrischlern am Fuße der Schneekoppe, heute Snie z Ka, gehörte die Familie Fontane. Lösche hat mir folgende Episode erzählt. Er stand eines Morgens in Holzpantoffeln vor seinem Schulhause, als Fontane auf seinem Morgenspaziergang vorbeikam. Sie kamen ins Gespräch, und Lösche wollte den Dichter ein Stückchen begleiten. Sie vertieften sich in ihre Unterhaltung so sehr, daß sie nach stundenlanger Wanderung — Lösche immer noch in Holzpantoffeln — auf dem Koppenplan landeten. Man muß die Entfernung und den Anstieg selbst einmal kennengelemt haben, um die Leistung einschätzen zu können.
Im Sommer 1877 war der Schaffgottsche Revierförster Wilhelm Frey am sogenannten „Gehänge“, etwa 500 m unterhalb der „Kleinen Koppe“, von einem Wilddieb erschossen worden. Solche blutigen Auseinandersetzungen zwischen Förstern und Wilddieben waren gegen Ende des vorigen Jahrhunderts nicht selten. Mir sind außer dem Falle Frey aus jener Zeit noch zwei andere Fälle bekannt: Zwischen Agnetendorf (heute Jagniatköw) und Kiesewald (Mlchatowice) wurde der Förster Maywald von Wilddieben erschlagen — seine Witwe habe ich noch persönlich gekannt —, und in Bad Flinsberg (Swieradöw-Zdröj) wurde ein Revierförster Christ mit seinem Hilfsjäger auf einem Reviergange erschossen. In keinem Fall konnten der oder die Täter ermittelt bzw. zur Rechenschaft gezogen werden. Solche Ereignisse gaben der Gebirgsbevölkerung in ihrer Einsamkeit auf Jahre hinaus anregenden Gesprächsstoff, zumal ja das Wildern und das Paschen (Schmuggeln) weit verbreitet waren. Das Interesse an solchen gruseligen Erzählungen traf besonders auf die Försterfamilien zu, die einmal die Betreffenden persönlich kannten und zum andern ihren eigenen Beruf heldenhaft verklärt sahen. So wurde auch ich schon als Kind vertraut mit dem Schicksal des Försters Frey, war doch der Sohn des Ermordeten Nachbarkollege meines Vaters im Forsthaus Hasenberg bei Bad Flinsberg, und der Enkelsohn — mit mir gleichaltrig — war mir befreundet.
Den Stoff zum Roman „Quitt“ verdankte Fontane also dem alten Lehrer Lösche. Der Dichter schrieb am 3. Juni 1885 von Krummhübel (Karpacz)
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