Heft 
(1977) 25
Seite
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über Fontane mitzuteilen habe. Mir ist die Erscheinung gegenwärtig, diese vornehme Schlichtheit, unter der sich eine reiche Welt verbarg, und dann diese Eingeordnetheit in einen Ablauf der deutschen Geistes- Geschichte, so daß alles auf seinem festen Platz steht, und nicht weg gedacht werden kann, ohne das Bild zu stören und vielleicht sogar zu zerstören. Vermutlich gibt es nicht viel Mitlebende, die F. persönlich gekannt haben. Ich sehe ihn in einem großen Zusammenhang, der in die Vor-Märzlige Vergangenheit und dann wieder in das Bismarcksche und Nach-Bismarcksche Geschehen hinein reicht. Er war der aufmerksame Beobachter und Schulderer, kühl und zugleich warm, ein Genie des alles durchdringenden Realismus. Man möchte ein Buch über ihn schreiben, aber man würde dem Geheimnis seines Schaffens doch nicht ganz nahe kommen. Ich nannte ihn schon ein Genie des Realismus und damit stellt er sich neben einen andern Großen, Gottfried Keller, und er überragt weit für mich Theodor Storm, obwohl diesem die Ehre angetan sein soll, die ihm gebührt. Im Nachlaß 21 von Fontane findet sich, der nach dem Tode herauskam, neben seiner unvergleichlichen Novelle Mathilde Möhring, das Meisterwerk kluger Beobachtung, nämlich ein Aufsatz über Rudolf Lindau, der beide Männer in ihrer Besonderheit und Verschiedenheit darstellt. Auch Rudolf Lindau habe ich persönlich gekannt und rechne ihn zu den Bedeutendsten die wir haben, und es ist gut, daß der Bruder Rudolfs, der Schwätzer Paul, in dem Aufsatz überhaupt nicht genannt wird 22 . Ich komme noch einmal auf den Brief Fontanes über die Zukunft unserer ehemaligen polnischen Provinzen zurück. Es wäre schade, wenn Sie ihn nicht kennten und verwerten könnten. Aber leider kann ich Ihnen nicht dazu verhelfen, ihn kennen zu lernen. Mit der Kreuz-Zeitung habe ich und unterhalte ich keinerlei Beziehungen, außerdem wüßten die Leute wahrscheinlich selber nicht, wo und was suchen. Da ist eben nichts zu machen. Man erkennt an dieser kleinen und doch nicht unwichtigen Episode, was Alles verloren gehen kann.

Mit freundlichen Grüßen, auch an Ihre Verwandten in New York, Ihr ergebener

Max Lesser

(Handschriftlicher Nachtrag des Sekretärs, von Lesser diktiert):

Schade, daß der RomanQuitt, der zur Hälfte in den Vereinigten Staaten spielt, das schwächste Buch Fontanes genannt werden muß. Es hat keine Hintergründe, es wird in seinem Verlauf immer mehr zu einer immerhin spannenden Kriminalgeschichte, aber ein Geringerer hätte das wohl auch machen können. Man merkt, daß F. ohne rechten Ertrag ein fremdes Land und fremde Zustände auf gesucht hat. Wie anders wirkenCecile,Schach von Wuthenow,Unterm Birnbaum und Unwiederbringlich, dann vor allemEffi Briest undDer Stechlin. Neben dem Reiz eines reichen Geschehens, das diese Bücher haben, ist es für mich charakteristisch, daß 'sie alle neben dem Sichtbaren, das

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