jeder Leser genießt, eine geheimnisvolle in Worten schwer wiederzugebende Handlung umschließen. Wir haben in Deutschland nichts Größeres und Gleichwertiges, nur noch wie ich schon sagte, bei Keller. Von den Neueren möchte ich einzig Thomas Mann mit „Tonio Kröger“ und dem „Tod in Venedig“ in diese Reihe der Erlesenen stellen.
(2) Neuendorf, d. 7. Januar 1938
Sehr geehrter Herr!
Auch diesmal muß ich mich Ihnen versagen, mehr noch als das erste Mal. So sehr, wie Sie annehmen mögen, habe ich niemals an der Bewegung teilgenommen, über die Sie etwas von mir hören möchten. Ich war nie ein Freund von Einschachtelungen, und ich weiß nicht recht, wie ich das Verhältnis der jüngeren Generation zu Fontane und umgekehrt so schildern könnte, daß Früchte daraus erwachsen mögen. Für F. wird wohl ebenso wie für jeden anderen verständigen Menschen, die persönliche Leistung allein entscheidend gewesen sein, und nicht die Zugehörigkeit zu dieser oder jener „Richtung“. Wenn ich mir beispielsweise vergegenwärtige, wie F. zu Paul Heyse gestanden haben mag, so wird er ohne Zweifel das große und schöne Talent dieses Dichters anerkannt haben, obwohl ihm die Angriffe Heyses auf die sogenannten Naturalisten mißfallen haben werden 23 . Und wenn F. einen Gerh. Hauptmann höher stellt als Sudermann, so war die Qualität dieser Beiden bestimmend 24 . F. gehörte ja selbst zu dem Lager der Neuen. Man braucht nur seine Kritiken in der Vossischen Zeitung zu lesen, um einen Begriff von der Ironie zu bekommen, mit der er Wildenbruch 25 u. a. behandelte. Aber meine ganze bisherige Ausführung ist ja unwesentlich und gleichgültig, gemessen daran, daß Jeder der damaligen Alten und Neuen ehrlich seine Pflicht tat und weder über seinen Schatten springen noch sonst wie zaubern könnte. Das Rubrizieren bleibt uns Nachlebenden Vorbehalten. Auch damit kann man gewiß zu schönen Resultaten kommen, und diese Tätigkeit mag sogar notwendig sein, aber ich für meine Person möchte draußen bleiben und habe ein gewisses Anrecht auf diese ganz private Sonderstellung durch meine Unfähigkeit, Dinge und Menschen nach Schulen zu bewerten. Nehmen Sie mir also mein Nein nicht übel, es ist wenigstens das Eingeständnis des Bankrotts. Um aber diesen Brief, der- Sie enttäuschen muß, nicht ohne ein Schwänzchen positiven Inhalts zu schließen, so will ich die Gelegenheit benutzen und Ihnen erzählen, daß es 2 Dichter gibt, die ich liebe, und die unsere Mitwelt vollkommen vergessen hat. Der eine ist Melchior Meyr mit seinen Erzählungen aus dem Ries 215 , die zwar ohne das Vorbild von Berthold Auerbach 27 nicht geschrieben wären, dieses Vorbild aber mindestens erreichen oder vielleicht noch übertreffen. Die andere meiner dankbaren Erinnerungen haftet an Herman Grimm, dem wir den 3bändigen Roman „Unüberwindliche Mächte“ 28 verdanken und der uns außerdem mit bedeutenden kleinen Erzählungen (auch in Versen ist einiges darunter) beschenkt hat. Ich nenne nur den „Landschaftsmaler“ 29 . „Die unüber-
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