Novellenschaffens, da er sich selbst noch auf der Suche befand und andere Größen zur Erprobung seiner eigenen Positionen kritisch unter die Lupe nahm, an einem Gespräch über literarische Fragen mit einem Partner, der ihm letzten Endes sympathisch war und dessen Novellen er akzeptierte. Wie macht es der andere? war die Frage. Mit seiner an jenem Abend geäußerten Kritik an der Figur der Edith aus Lindaus Novelle „Hans der Träumer“ (sie war vorher schon in seiner „Aufzeichnung“ niedergelegt) entlockte Fontane dem andern die Rechtfertigung von „Sprüngen“ in der Gestaltung von Charakteren, sofern diese dem Leben abgelauscht sind. Das Gespräch glitt so über zur zentralen Frage in Fontanes damaliger Schaffensperiode: zur realistischen Darstellungsweise und zu der von Fontane einstweilen noch festgehaltenen, von Lindau abgelehnten Notwendigkeit des ..Hineinredens“ des Autors in den Erzählgang. Unumwunden gab Rudolf Lindau zu, daß er nach dem Schaffensprinzip seines Freundes, des russischen Realisten I. S. Turgenjew verfahre, mit dem er in den fünfziger Jahren und zwischen 1871 und 1878 in Paris häufig diskutiert hatte 23 . Bei ihm fand er jene ..Wahrheit, Objektivität und Realität“, die er bei der einheimischen Novellistik vermißte. Dieses Eingeständnis eines Mannes, den Fontane nun als klug und liebenswürdig, „von großer Weltkenntnis ebenso was Fläche wie Tiefe angeht“ 21 , als durch und durch schätzenswert erkannte, machte auf ihn, der ja in den zurückliegenden Jahren sich gerade mit Turgenjews Schaffen streitbar auseinandergesetzt hatte, einen unauslöschlichen Eindruck. Von nun an rechnete auch er es sich zur Ehre an, den russischen Dichter für sich als „Meister und Vorbild“ zu beanspruchen, zu dessen „Schule“ (gemeint ist im deutschen Sprachraum) er sowohl sich als auch Rudolf Lindau zählte. Dies betont er ausdrücklich in einem Brief an Ludwig Pietsch 25 , der ihn in einer Rezension vom Dezember 1885 neben Turgenjew und Adolf Menzel gestellt hatte. Angesichts der bei aller Bewunderung mitunter harten Kritik, die Fontane noch wenige Jahre zuvor gerade an Turgenjews Realismus geübt hat (an „Neuland“: „wie traurig, wie unbefriedigend ... kaum eine Zukunftsperspektive“ ; an „Rauch“: „Es ist ein Irrweg und ein Verkennen des eigensten innersten Wesens der Kunst“; an „Mumu“: „Es ist die Muse in Sack und Asche... Das Leben hat einen Grinsezug“), müßte eine solche Zugehörigkeitserklärung zur Turgenjew-Schule 26 überraschen, gäbe es nicht die Aufzeichnung des Gesprächs mit Rudolf Lindau von Anfang 1883, das eine Entwicklungsstufe auf Fontanes Weg zum realistischen Schriftsteller markiert 27 . Der Gedanke an den „Meister“ wurde auch im November 1886 noch einmal laut, als Fontane in seiner Besprechung von Paul Lindaus Roman „Der Zug nach dem Westen“ dem Autor empfahl, sich in Schlichtheit der Darstellung „an seinem Bruder Rudolf, der sich an seinem Meister Turgenjew zum Meister heranbildete“ 28 , ein Beispiel zu nehmen. Es ist durchaus kein Zufall, daß gerade Fontanes Gespräch mit Rudolf Lindau, mit dem er sich damals gleichen Ranges und anderen zeitgenössischen deutschen Kollegen überlegen fühlte, das ausführlichste Selbstzeugnis über seine Schaffensweise enthält. Wie in
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